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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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anpaßte.
    Ich hielt nach Maria Luisa und meiner Frau Ausschau. Der Schlager dieses Sommers waren die schicken Inline-Skates der Kinder, die dadurch viel größer wirkten. Vor ein paar Jahren waren es Skateboards gewesen. Jedes Jahr hatte sein neues Spielzeug, aber die alten Spiele wie Seilspringen oder Fangen, die ich aus meiner Kindheit kannte, erfreuten noch immer jede Generation an den lauen Madrider Abenden.
    Zuerst sah ich meine Tochter, was mich wie gewöhnlich mit Wärme erfüllte. Auch sie hatte Inliner bekommen, hatte sie aber abgeschnallt. Statt dessen hüpfte sie mit der verbissenen Konzentration einer fast Siebenjährigen über ein Seil, das zwei ihrer Freundinnen immer schneller schwangen. Mit ihrem schwarzen Haar und der olivenfarbenen Haut ähnelte sie eher ihrer Mutter, aber sie hatte meine blauen Augen und langen Gliedmaßen geerbt. Sie hatte ein feines, kleines, rundes Gesicht und einen Mund, der gern lächelte und lachte. Das Seil traf sie am Knöchel, und ich sah den Ärger in ihrem Gesicht, aber sie akzeptierte die Spielregeln und nahm das Seil, so daß nun ihre Freundin hüpfen durfte. Sie trugen Schuluniformen und Schleifen im Haar. Und obwohl es nicht möglich war, bildete ich mir ein, aus der Kakophonie von Kinderstimmen Maria Luisa herauszuhören. Sie war unser gemeinsames kleines Wunder. Die Geburt war schwer gewesen. Amelia war sechsunddreißig, als sie gebar, und die Ärzte rechneten nicht damit, daß sie weitere Kinder haben könnte. Was dann auch nicht der Fall war. Amelia hatte nicht gedacht, daß sie überhaupt Kinder kriegen würde. Mit ihrem ersten Mann hatte sie keine gewollt. Sie sprach nicht viel von ihm, aber nur einen Monat nach der Hochzeit hatte sie die Sache schon bereut. Er veränderte sich und wurde immer bestimmender. Er war ungeheuer altmodisch, und das zu einer Zeit, als sich Spanien nach dem Tod des Diktators plötzlich im Aufbruch befand. Sie verließ ihn nach drei Jahren, und als die neue Scheidungsgesetzgebung verabschiedet worden war, wurden sie geschieden. Die Jahre vergingen, und als wir uns kennenlernten, war es schwieriger, ein Kind zu bekommen, als wir erwartet hatten. Eifrig probierten wir ein Jahr lang, bevor es klappte, aber zu mehr reichte es nicht. Wir waren mithin alte und etwas betuliche Eltern. Aber ein Kind ist noch nie an Verhätschelung gestorben.
    Ich entdeckte Amelia, die auf einer Bank saß und sich mit der Nachbarin, die unter uns wohnte, unterhielt. Amelia war das erste Wunder meines Lebens, das ebenfalls spät gekommen war.
    Wir sind seit acht Jahren verheiratet. Ihr Haar wurde allmählich grau, aber das war nicht zu sehen, da sie es tönte. Noch immer war sie schlank und auf undefinierbare Weise schön. Sie war nicht klassisch schön, aber das Licht jeder Gruppe. Sie ruhte in sich selbst und ihrem Glauben an das Leben, und die Falten um Augen und Mund fand ich einfach nur reizend, denn sie verrieten einen Menschen, der gern lächelte und über das Leben lachte. Sie war ein Mensch, der gelebt hatte, und ich war dankbar, daß sie sich entschieden hatte, den Rest ihres Lebens mit mir zu verbringen.
    Ich nahm die Reisetasche und ging zu ihr hinüber. Sie sah mich und belohnte mich mit einem Lächeln, als sie sich von der Bank erhob. Ich war höflich und begrüßte die Nachbarin mit den traditionellen drei Wangenküßchen in die Luft, bevor ich Amelia umarmte und auf den Mund küßte. Wir lebten in modernen Zeiten, aber sie war nach wie vor ziemlich schamhaft, wenn es um Liebkosungen in der Öffentlichkeit ging. Ich küßte sie länger, als sie es mochte, aber die Erinnerung an den Leibwächter des Ministers ließ mich nicht los. Sie machte sich frei, und es herrschte einen Augenblick Verlegenheit, während wir nach Worten suchten.
     
    »Willkommen zu Hause, Liebster«, sagte Amelia. »Ist alles gutgegangen?«
    »Alles klar«, sagte ich.
    »Wo bist du denn gewesen, Pedro?« sagte die Nachbarin.
    »Welche exotischen Länder hast du diesmal besucht?«
    »Katalonien.«
    »Uuh, die Katalanen. Die sprechen doch kein Spanisch, wie hast du dich denn da durchgeschlagen?« sagte sie zwar mit einem Lächeln, aber sie fand tatsächlich, daß die Katalanen seltsame Menschen seien, die auf dem Katalanischen bestünden, statt die edle Sprache Cervantes’ zu sprechen.
    »So schlimm ist es auch wieder nicht, Maria«, sagte ich. Maria war Kochbuchautorin, mit einem Anwalt verheiratet und nicht älter als zweiunddreißig. Sie war gegen den Strom geschwommen und

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