Der Augenblick der Wahrheit
daß die Jugend endgültig vorbei ist. Daß das Leben seinen Zenit überschritten hat. Daß man gewisse Dinge nicht mehr machen kann, auch wenn man es gerne wollte. Indem man zurückblickt und zu verstehen versucht, kann man die Jahre vielleicht besser bewältigen, in denen man langsam in das Alter und einen hoffentlich gnädigen Tod hinübergleitet.
Vom Zimmertelefon rief ich Oscar an. Er nahm sofort ab. Als wir uns kennenlernten, konnte Oscar kein Spanisch, so daß wir englisch sprechen mußten. Obwohl er jetzt fließend Spanisch konnte, redeten wir unter uns immer noch englisch. Aus alter Gewohnheit.
»Na, alter Junge«, sagte Oscar mit seiner tiefen, rauhen Stimme, »schieß los!«
»Das hätten wir«, sagte ich.
»Und?«
»Es ist fast eine Jacqueline«, sagte ich. »Also setz den Apparat in Gang.«
»Du bist ein tüchtiger, zynischer Kerl.«
»Es ist ein bürgerlicher Minister.«
»Sonst würdest du auch Ärger mit Amelia kriegen«, sagte er, und ich konnte das Lachen in seiner Stimme nicht überhören. Er mochte Amelia gern, aber er hatte es nie verdaut, daß ich geheiratet hatte und meiner Frau treu war. Daß ich auf meine alten Tage bürgerlich geworden war. Daß ich auf sie hörte und ihre Auffassungen achtete. Glücklicherweise kamen wir alle vier gut damit zurecht.
»Ich bring das Material morgen vorbei«, sagte ich.
»Ich werde einen Techniker besorgen.«
»Ich mache sie selbst«, sagte ich.
»Was ist mit einem Anwalt?«
»Ich hab sie auf einem öffentlichen Strand aufgenommen.«
Oscar und ich sprachen die Dinge am Telefon selten unverschlüsselt aus. Spanien hat einen großen und mächtigen Sicherheitsapparat, der den verfassungsmäßig garantierten Schutz gegen Telefonüberwachung nicht immer ganz ernst nimmt. Spanien ist ein europäisches Land mit Terrorismus, und die bürgerlichen Freiheitsrechte werden leicht von Blut und Gewalt übertrumpft.
»Wie öffentlich?« fragte er.
»Vollkommen öffentlich. Kein Privatgelände. Jeder, der ein Boot hat, kann ihn benutzen.«
»Ich setze den Apparat in Gang. Wann kommst du nach Haus?«
»Ich miete jetzt ein anderes Auto und fahre nach Barcelona und nehme dort den ersten Flieger.«
»Okay. Signing off, old boy«, sagte er mit der Zufriedenheit in der Stimme, die bei ihm heutzutage fast nur noch durchklingt, wenn es Geld zu verdienen gibt.
»Grüß Gloria«, sagte ich.
»Will do, old boy.«
Ich meldete mich im Hotel ab und ging zu dem Jeep, in der einen Hand die Reisetasche und über der Schulter meine Fototasche mit den Negativen, die Oscars und mein Bankkonto mit vielen, vielen tausend Dollars füllen würden.
Schräg vor dem Jeep hielt ein neuer schwarzer Mercedes.
Zwei Männer lehnten mit verschränkten Armen an dem Wagen.
Der eine würde keine großen Schwierigkeiten bereiten. Er war ein kleiner, korpulenter Mann mit einem breiten, kräftigen Gesicht unter einem kahlen Schädel. Er schien in schlechter Form zu sein. Wahrscheinlich war er ein teurer PR-Typ, der angestellt war, für seinen Herrn und Meister die Kastanien aus dem Feuer zu holen – genau so sah er jedenfalls aus. Der andere hingegen war um die Dreißig, hatte muskulöse Oberarme und ein selbstsicheres Lächeln unter der schwarzen Sonnenbrille.
Aber auch er wirkte nicht gerade zäh. Er ähnelte einem Bodybuilder, keinem Kämpfer. Es waren aufgepumpte Muskeln, nicht die sehnige Härte, die man sich in meinem Fitneßcenter antrainierte. Trotz der Hitze hatten sie beide einen Anzug an. Es war gutsitzende Tropenkleidung, sie schienen nicht zu schwitzen. Der Hirt hatte geplappert. Der Hirt konnte lesen und schreiben. Zumindest die Zahlen und Buchstaben auf der Kfz-Nummer des Jeeps, der zur Autovermietung Avis gehörte.
» Oyes, hijo de puta « , sagte der Gorilla. Er richtete sich auf und ließ die Hände an seinem Körper hinuntergleiten. Er wirkte entspannt, aber ich konnte seine Zeichensprache lesen. Die Nebenstraße war menschenleer. Oben von der Hauptstraße kamen die Geräusche des beginnenden Verkehrs, und ich hörte das metallische Rasseln der Jalousien, die vor den Geschäften in die Höhe gezogen wurden.
»Selber Hurensohn!« sagte ich.
Er trat einen Schritt vor und versperrte mir den Zugang zu dem Jeep.
»Du versperrst mir den Weg«, sagte ich.
»Abliefern!« sagte er nur und zeigte auf meine Fototasche.
»Das ist Privateigentum«, sagte ich.
»Nicht die Filme. Die Kameras kriegst du zurück. Abliefern!«
Ich stellte die Reisetasche auf den
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