Der Augenblick der Wahrheit
Tapas und Drinks für die Kellner, die in kurzen weißen Jacken und schwarzen Hosen ihre Bestellungen brüllten. An den Wänden hingen schwarzweiße Fotos alter Stierkampfhelden wie Manolette oder Schauspieler und Filmszenen der vierziger und fünfziger Jahre. Ein großer Stierkopf beherrschte die eine Wand.
Das Publikum war gemischt, aber doch überwiegend jung. Das Licht war grell und weiß, aber die Menschen und der Duft nach Öl und Knoblauch hüllten das Lokal in eine angenehme, gediegene Stimmung.
»Hier ist es aber hübsch«, sagte Clara Hoffmann noch einmal.
»Gut beleuchtet und edel.«
Ich lachte.
»Das ist ja fast der Titel einer Erzählung, die von einem der ganz berühmten Gäste stammt.«
»Von wem denn?«
»Hemingway. ›Ein sauberes, gutbeleuchtetes Café‹«, sagte ich.
»Ja, wo ist der nicht gewesen«, sagte sie und angelte eine Zigarette aus ihrer schmalen Tasche, einem flachen Etwas in der Größe eines Din-A-4-Bogens.
»Sie sind kein Fan?« fragte ich.
»Ich glaube nicht, daß ich was von ihm gelesen habe.
Jedenfalls nicht seit meiner Schulzeit. Er ist wohl auch ein bißchen passé, nicht?«
Ich reichte ihr Feuer.
»Das ist vielleicht nicht Ihre Meinung?« sagte sie. Sie hatte fast graue Augen, die einen fesselten. Sie wirkte selbstsicher und ein wenig kühl und abwesend.
»Ich bin ein großer Hemingway-Fan«, sagte ich und zeigte auf den Tisch und aus dem Fenster auf den dichten Strom der Passanten, die vor dem späten Abendessen, das manche erst um elf einnehmen, noch einen Aperitif und ein paar Tapas zu sich zu nehmen. Ich fuhr fort: »Man sagt sogar, daß der Tisch, an dem wir jetzt sitzen, sein Stammtisch gewesen sei. Hier hat er im Bürgerkrieg gesessen und geschrieben, während die Faschisten die Stadt bombardierten. Gewöhnlich wohnte er drüben in Ihrem Hotel, wenn er in Madrid war, zusammen mit den berühmten Toreros seiner Zeit. Bis vor einigen Jahren gab es etliche Kellner, die ihn noch gekannt haben. Sie erinnerten sich, daß sie ihn nach Haus tragen mußten, wenn er zuviel getrunken hatte.«
Sie schaute sich um.
»Nett hier«, sagte sie.
»Aber Sie wollen wahrscheinlich nicht über Hemingway reden«, sagte ich.
»Wollen wir uns nicht duzen? Wie in Dänemark üblich?«
sagte sie.
»Darf ich dich zu einem Glas Wein einladen?«
»Danke, gern«, sagte sie und blies den Rauch aus.
Felipe kam an unseren Tisch, und wir redeten ein wenig über Wind und Wetter. Seit meinen Jugendtagen kenne ich ihn als Kellner im Alemana. Er war einer der vielversprechenden jungen Stierkämpfer, bis er von den Hörnern getroffen wurde, und das hat ihn die Eier gekostet, wie die Spanier sagen. Die Verletzung war nicht so schlimm, aber die seelische Wunde war tödlich. Er verlor den Mut und wagte sich in keine Arena mehr.
Der Besitzer des Alemana, ein aficionado, stellte ihn als Kellner ein, aus Respekt für den großen Mut, den er bis zu jenem schicksalschwangeren Tag bewiesen hatte. Heute war er ein kleiner, stämmiger Mann mit melancholischen Augen und einer roten Nase, aber er zeigte niemand sein blutendes Herz. Er wohnte in einer kleinen Pension und fuhr einmal im Jahr in seine Heimatstadt Ronda, um allein in die Arena zu gehen, in der er debütiert hatte. Was er dort tat, weiß ich nicht. Vielleicht verfluchte er Gott. Vielleicht erinnerte er sich auch einfach an die zerbrochenen Träume.
Mit dem Geschirrtuch überm Arm nahm er meine Bestellung entgegen: ein Glas Rotwein für die Dame aus Dänemark, ein Zitronenwasser für den Herrn, eine Portion Garnelen in Knoblauch und einen Teller Serranoschinken. Noch auf dem Weg zur Theke brüllte er die Bestellung durch den Raum.
Clara Hoffmann sah mich an.
»Ich habe ein paar Fragen«, sagte sie dann.
Ich blickte ihr direkt in die Augen.
»Nur um der Ordnung willen«, sagte ich. »könntest du dich irgendwie ausweisen …«
»Selbstverständlich«, sagte sie und reichte mir einen Ausweis.
Offensichtlich benutzte die dänische Polizei die alten Polizeimarken nicht mehr. Sie war also dreiundvierzig Jahre alt.
Ich hatte sie jünger geschätzt, aber bei den Frauen heutzutage war das nicht einfach.
»Kriminalinspektorin. Nobel«, sagte ich.
»Mein Chef ist nur ein paar Jahre älter als ich. Und ist übrigens eine Chefin. Der neue Staatssekretär des Präsidenten ist erst zweiunddreißig. Da ist nichts Nobles dabei.«
Das klang nicht bitter, aber doch etwas resigniert. Als ob sie wüßte, daß es für sie vielleicht keine
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