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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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zerstört.
    Oder ich hatte mit den Händen gezittert. Das Licht war falsch berechnet. Das Opfer war verschwommen und unkenntlich.
    Hunderterlei Dinge konnten schiefgehen.
    Ich nahm ein Bad und packte meine Sachen, ehe ich in Madrid anrief. Die belichteten Filme lagen in der verschließbaren Fototasche, meine Kleidung in einer praktischen Reisetasche, die im Flugzeug als Handgepäck durchging. Ich reise mit leichtem Gepäck und lasse unterwegs im Hotel waschen, oder ich kaufe mir ein neues T-Shirt. Oscar erschien in der Regel gegen vier Uhr nachmittags in seinem Büro, während viele andere Büros in Madrid erst wieder um fünf aufmachten.
    Allmählich änderten sich diese Zeiten. Der Tagesrhythmus wurde immer europäischer, aber Leute in der klassischen Siestazeit anzutreffen war nach wie vor schwierig. Besonders in der staatlichen Bürokratie. Das waren die Stunden, die für Geschäftsessen, die Familie und Affären in versteckten Hotelzimmern oder den kleinen intimen Wohnungen der Geliebten genutzt wurden. Ich hatte die Nummer von Oscars derzeitiger Geliebten, aber dort würde ich nur im Notfall anrufen. Daheim bei der Gattin würde man ihn fast nur sonntags antreffen, so hatten sich Oscar und Gloria arrangiert. Gloria war groß und noch immer sehr attraktiv, aber auch sie konnte nicht länger verbergen, daß wir uns alle den Fünfzig näherten. Das schien sie nicht weiter zu bekümmern, die neben der Verwaltung ihrer blühenden Anwaltskanzlei dafür Sorge trug, von jüngeren Liebhabern in ihrer Attraktivität bestätigt zu werden. Wenn es um die Liebe geht, sind die Spanier ein nüchternes Volk, und weder Oscar noch Gloria liebäugelten mit der Scheidung. Nicht weil sie Katholiken waren. Wenn sie wollten, gab ihnen das Gesetz die Möglichkeit dazu. Aber sie paßten gut zusammen, und ihr Privatleben und ihre gemeinsamen Geschäfte waren derart miteinander verquickt, daß die einzigen, die von einer Scheidung profitiert hätten, die unzähligen Anwälte gewesen wären, die das gemeinsame Vermögen hätten entwirren müssen.
    Sie waren beide meine Freunde und meine Geschäftspartner, und wir kannten uns seit mehr als zwanzig Jahren. Wir hatten uns in den chaotischen, hoffnungsvollen Jahren nach Francos Tod kennengelernt. Oscar war ein zwei Meter großer deutscher Journalist, der damals für eine Reihe kleiner linker Blätter schrieb. Und Gloria war eine schöne Jurastudentin, die ihre Mitgliedskarte der illegalen Kommunistischen Partei wie eines der verschwundenen Kronjuwelen des Zaren bei sich trug. Wir hatten eine kurze, heftige Affäre miteinander gehabt, aber damals haben wohl alle mit allen geschlafen, damals, als wir, ohne rot zu werden, »Genossen« sagten und die Liebschaften schnell und ohne bitteren Nachgeschmack endeten. Bei Oscar und Gloria war das etwas anderes. Sie verliebten sich überstürzt und blieben gegen alle Wetten zusammen, aber ohne daß in den letzten Jahren die Treue eine große Rolle gespielt hätte. Wir sind zusammen jung, arm und revolutionär gewesen, und wir sind zusammen reich geworden. Die beiden waren meine zweite Familie. Sie haben nie Kinder bekommen. Sie wollten es so.
    Gloria hatte in England eine Abtreibung machen lassen, als es in Spanien noch verboten war, und danach betrachtete sie ihre unerlaubten Antibabypillen als revolutionäres Schwert, das sie dem Papst und allen anderen alten, verstockten, reaktionären Schwachköpfen, die über ihr Leben bestimmen wollten, in die Visage stieß. Als sie allmählich nach Kindern Sehnsucht bekam, war es zu spät. Die Uhr dafür war offensichtlich abgelaufen.
    Jedenfalls konnte sie nicht mehr schwanger werden, aber wenn dies eine große Enttäuschung für sie bedeutete, versteckte sie sie gut. Oscar war es eigentlich egal. Wenn Gloria ein Kind hätte haben wollen, wäre er auch gern Vater geworden. Wenn es nicht ging, kehrten sie, ohne mit der Wimper zu zucken, zum täglichen Leben zurück, und nach ein paar Jahren hörten sie auf, darüber zu sprechen.
    Ich dachte an sie, als ich die durchschwitzten Jeans und das T-Shirt in meine Reisetasche packte und in ein sauberes Hemd und eine helle Hose schlüpfte. Ich trank ein paar kalte Cola aus der Minibar. Überhaupt hatte ich in letzter Zeit damit angefangen, über meine Kindheit und Jugend nachzudenken. Um irgendeine Form von Torschlußpanik zu empfinden, war ich zu ausgeglichen und zufrieden, aber wahrscheinlich ist das Leben so eingerichtet, daß man mehr zurückschaut, wenn man erkennt,

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