Der Augenblick der Wahrheit
du wäre, hätte ich dasselbe geglaubt. Vergiß es.«
»Du riskierst eine Menge, Tómas. Kann sein, daß dein neues Leben darunter leidet.«
»Du hast bei mir damals auch etwas riskiert und hast mich versteckt und mir geholfen und hast die Augen zugemacht und das Maul gehalten.«
»Dann sind wir quitt«, sagte ich.
Tómas lächelte. Sein Blick war verschleiert.
»Ich hab dir schon mal gesagt, Peter, Freunde führen nicht Buch über solche Sachen.«
Der Rausch ging langsam in einen Kater über. Es bohrte und hämmerte in meinem Kopf und rumpelte und pumpelte in meinem Magen. Tómas holte in aller Ruhe einen Eimer, stellte ihn ans Kopfende des Bettes und reichte mir ein paar Tabletten.
Sie würden zwar überhaupt nichts helfen, aber ich schluckte sie anstandslos mit einem Glas Wasser. Ich hätte aufstehen müssen, aber ich war nicht mehr dazu fähig.
»Ich kann nicht Motorrad fahren. Kannst du mich morgen zum Flughafen bringen? Ich meine, heute. Ich muß nach Madrid. Ich muß mit Don Alfonzo reden.«
»Natürlich. Aber jetzt ruh dich erst mal aus«, sagte er.
Ich war eher zerschlagen und erschöpft als schläfrig, aber ich schlief ein und träumte von Amelia. Sie lag aufgebahrt im Schlafzimmer unserer abgebrannten Wohnung, die sorgfältig und pietätvoll wieder aufgebaut war. Alles stand an seinem gewohnten Platz. Das Schlafzimmer war jetzt ein Museum.
Unmengen von Leuten liefen umher und betrachteten ihre Kleider und ihren Schmuck und die Fotos von Maria Luisa, mit denen wir fast eine ganze Wand tapeziert hatten. Ich konnte nicht verstehen, warum die tote Amelia plötzlich so interessant war, daß die Leute dafür bezahlten, um ihre mumifizierten Überreste zu sehen und ihre Alltagsgegenstände zu studieren, als wären es seltene Kunstwerke. Die Schlange reichte bis zum Flur und die Treppe hinunter und auf die Straße, von wo sie sich weit über die Plaza Santa Ana erstreckte. Eine derartige Schlange hatte ich nur vor vielen Jahren vor dem Lenin-Mausoleum in Moskau gesehen, als die Sowjetunion noch existierte. Neben Amelia lag ein ebenholzschwarzer Mann mit über der Brust verschränkten Armen. Er lag erst ganz ruhig da, und ich verstand nicht, warum er neben meiner schlafenden Ehefrau lag.
Ich war zwar nicht richtig eifersüchtig, fand aber doch, sie müsse sich erklären.
Er hob den Kopf und sah zu mir herüber. Er hatte keine Augen, sondern nur zwei noch schwärzere Höhlen in einem ohnehin schon schwarzen Gesicht. Offensichtlich bemerkte ihn keiner der Besucher. Er richtete sich auf. Er war völlig nackt und ohne Haar und Geschlecht. Er glich einer Statue, die von einem unerhörten Gott Leben eingehaucht bekommen hatte.
Dann erhob er sich und löste sich langsam in Luft auf, und ich verstand, daß der Tod bei Amelia gelegen hatte.
10
Ich erwachte, weil ich zwei Schatten neben meinem Bett spürte.
Ich hatte viel länger geschlafen, als ich gewollt oder erwartet hatte. Es war schon später Nachmittag. Die Sonne schien flach durchs Fenster und würde bald hinter dem westlichen Bergrücken verschwinden. Körper und Kopf schmerzten immer noch. Die Haut pochte nach den harten Schlägen, der Mund war trocken und doch schleimig, der Kopf hämmerte, und der Magen brannte im Kampf gegen das Gift, das in mich hineingeschüttet worden war. Es war schwer, etwas im Blick zu behalten, und der Gedanke, mich zu erheben, verursachte mir Übelkeit.
Der eine Schatten wurde zu Tómas, der andere war ein gebeugter Mann mittleren Alters mit einem kleinen grauen Moustache unter einer spitzen Nase und zerzaustem, dünnem Haar. Ich versuchte, mich zu erheben.
»Bleib liegen, Peter«, sagte Tómas sanft. »Du siehst furchtbar aus.«
»Danke. Wer ist dein Freund?« Meine Stimme war rauh und raspelnd, und meine Lippen taten weh, wenn ich sprach.
»Doktor Martinez. Er ist ein Freund. Du hast sehr lange geschlafen«, sagte Tómas.
Ich war nackt unter dem Laken, mit Ausnahme meiner Boxershorts. Die eine Seite des Körpers war blau mit roten Schattierungen.
»Darf ich Sie mir mal anschauen, Señor Lime?« fragte Martinez. Seine Stimme klang hell, fast wie die einer Frau, und seine schlanken, weißen Hände waren auch feminin weich und vorsichtig, als er mich untersuchte. Mein Gesicht war geschwollen, unter dem einen Auge klaffte ein Riß, und eine Rippe war geprellt, aber er war der Meinung, daß es keine inneren Verletzungen gab. Er hätte mich für ein paar weitergehende Untersuchungen gern ins Krankenhaus
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