Der Augenblick der Wahrheit
sich fragen, was daran so interessant ist, daß man Sie deswegen umbringen wollte. Und wer von diesem Koffer weiß. Wir wußten es nicht.
Woher auch? Tómas ist dein Freund. Als Arregui anrief, ist er sofort gekommen. Sie sind gute Patrioten. In ein paar Stunden werden alle Spuren beseitigt sein. Alle!«
Das war eine lange Rede. Ich glaubte ihm.
»Wer sagt denn, daß sie mich liquidieren wollten?« fragte ich.
»Die haben mich verprügelt und besoffen gemacht. Ich kenne das. Ist nur ein paar Jährchen her.«
Er sah mich an und lächelte ein wenig.
»Ihre anderen Opfer, die sie ohne Masken gesehen haben, leben nicht mehr, um irgendwas zu verraten. Aber du lebst noch, Peter. Ich würde mich also in Zukunft vorsehen. Bis wir sie haben. Und das wird irgendwann der Fall sein. Auf Arregui werden wir schon aufpassen. Außerdem hat er vor nichts Angst auf dieser Welt.«
Darauf würde ich nun nicht meine letzten Spargroschen verwetten. Seine Organisation war gespalten und bedrängt und mehr oder weniger im Untergrund. Aber wie alle selbsternannten Revolutionäre war er gezwungen, an seine Sache und die Möglichkeit des Sieges zu glauben, um das Doppelleben, das er führte, zu überstehen.
»Und der Blonde?« fragte ich.
»Er löst sich in Luft auf. Davon brauchst du nichts zu wissen.«
Ich trank meinen Kaffee aus. Mein Körper schmerzte, und ich fühlte mich berauscht wie in alten Tagen, wenn ich Amok lief und mich sinnlos besoff. Eine inspirierende Klarheit, die die Assoziationen zum freien Flug animierte. Der Alkohol dämpfte auch die körperlichen und seelischen Schmerzen. Der Mann erhob sich, und als ich auch aufstand, mußte ich mich gleich wieder setzen. Es tat zu weh, mir war zu schwindlig, aber ich nahm seine ausgestreckte Hand und drückte sie.
»Wir sind es nicht. Du solltest woanders hinschauen. Wenn wir etwas hören, kontaktieren wir Tómas. Auf Euskadis Boden halten wir Ordnung. Wir erinnern uns an unsere Freunde«, sagte er.
»Okay«, sagte ich bloß, und wie ein Schatten, der nur in der Nacht leben kann, schwebte er in das beginnende Morgengrauen.
Ich versuchte noch einmal, aus eigener Kraft aufzustehen, und diesmal glückte es. Ich war betrunken, und das Schlimmste war, daß ich trotz der Schmerzen am ganzen Körper die Empfindung des Alkohols im Blut genoß. Wieder drehte sich alles vor mir.
Ich konnte meine eigene Kotze und Pisse riechen und versuchte das besudelte T-Shirt auszuziehen, aber ich konnte das Gleichgewicht nicht halten. Tómas legte meinen Arm auf seine Schulter und half mir die Treppe zum ersten Stock hinauf. Es zog und schmerzte im ganzen Körper, aber wir erreichten schließlich Amelias und mein Schlafzimmer. Tómas half mir, das T-Shirt auszuziehen, und ohne Verlegenheit schnallte er mir den Gürtel auf und zog die nassen Jeans herunter. Ich stützte mich auf ihn, während er mir nacheinander die Socken abstreifte, aber die Unterhose zog ich selber aus. Ich legte ihm wieder den Arm über die Schulter, er führte mich ins Badezimmer und hielt mich unter der Dusche aufrecht. Das Gleichgewicht zu halten war schwer, aber er nahm sich Zeit.
Verletzte Menschen beiderlei Geschlechts waren ihm ein vertrauter Anblick. Er hielt mich fest und seifte mich behutsam ein. Meine ganze rechte Seite war blutunterlaufen, und bei einem flüchtigen Blick in den Spiegel hatte ich mein Gesicht als geschwollene Fratze gesehen, die Niederlagenvisage eines Boxers nach fünfzehn fruchtlosen Runden.
Er half mir in frische Kleider und führte mich ins Schlafzimmer zurück. Ich meinte, noch immer Erbrochenes und Whiskey zu riechen. Durch das offene Fenster strömte kühle Nachtluft herein.
Tómas holte Jod und reinigte meine Wunden. Ich hatte einen bösen Riß unter dem rechten Auge. Es brannte, aber es war auszuhalten. Ich bat Tómas, noch einmal Don Alfonzo anzurufen, aber es hob wieder keiner ab. Tómas legte mich auf das Doppelbett und setzte sich auf den Rand, als wäre ich ein kleines krankes Kind, das Angst hatte, im Dunkeln zu schlafen.
Ich erzählte ihm von dem Koffer. Daß er die wichtigsten Bilder meines Lebens enthielt, an denen aber nichts Geheimes war.
Jacqueline, der Minister und Schnappschüsse von dem Hund, den ich als Kind hatte. Es war meine eigene private Welt. Was konnte daran für andere so interessant sein?
»Die Antwort findest du in dem Koffer«, sagte er. »Sonst gibt es keinen Sinn.«
»Du mußt entschuldigen …«, sagte ich.
»Vergiß es«, sagte er. »Wenn ich
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