Der Augenblick der Wahrheit
mitgenommen, aber ich weigerte mich. Er seufzte, fand sich aber damit ab. Es war anzunehmen, daß er schon mehr Verletzte gesehen hatte, die keine Lust verspürten, in einem Krankenbericht verewigt zu werden.
»Dann muß ich Sie hier nähen«, sagte er.
Er füllte eine Spritze und betäubte die eine Wange, und wir warteten, daß die Betäubung wirkte.
»Don Alfonzo?« fragte ich vorsichtig.
»Er antwortet immer noch nicht.«
»Versuch’s noch mal.«
»Ich versuch’s die ganze Zeit«, sagte Tómas und wählte die Nummer. Er hielt das kleine schwarze Handy an mein Ohr und ließ mich das Klingeln hören.
»Ich muß nach Madrid«, sagte ich in meinem benebelten Zustand.
»Nicht heute. Abgesehen von all den anderen Verletzungen haben Sie eine leichte Gehirnerschütterung«, sagte der Arzt und tupfte mir vorsichtig auf die Wange, die gefühllos war und fern wie bei einer Betäubung beim Zahnarzt. Trotzdem tat es weh, als er mich mit fünf feinen Stichen vernähte und ein Pflaster darauf klebte. Dann gab er mir eine Handvoll schmerzstillender Tabletten und eine zum Schlafen.
»Sie sehen aus, als würden Sie schnell wieder gesund werden.
Ruhe und Schlaf fördern die Heilung besser als alles andere«, sagte er und ging mit einem kurzen Kopfnicken in meine Richtung und einem Händedruck mit Tómas. Mein alter Tómas hatte nach wie vor die merkwürdigsten Freunde. Ich versuchte aufzustehen, aber es ging nicht. Ich sah, daß der Eimer am Kopfende gesäubert worden war. Ich hatte also irgendwann erbrochen, konnte mich aber nur schwach daran erinnern.
Wahrscheinlich hat mich auch die Demütigung dazu veranlaßt, auf Tómas zu hören und nicht zu verlangen, zum Flughafen gebracht zu werden. Er gab mir ein großes Glas Wasser, das ich in einem Zug leerte. Es hätte nicht viel gefehlt und es wäre wieder hochgekommen. Er holte ein neues, und ich schluckte die Tabletten, die er mir gab. Offensichtlich hatte die Schlaftablette durchschlagende Wirkung, denn ich schlief ein und schlummerte traumlos und erwachte in einem grauen Dunkel mit einem zarten Lichtschimmer. Meine Kopfschmerzen waren weg, und als ich aufstand und auf die Toilette ging, hatte ich zwar noch Schmerzen an der Seite und im Kreuz, aber es war erträglich. Es war wie früher, wenn beim Fußball hart zugelangt worden war. Es tat weh, aber das gehörte dazu. Mir war nicht klar, ob der Lichtschimmer einen neuen Morgen ankündigte oder ob ich nur ein paar Stunden geschlafen hatte und es noch die Abenddämmerung war.
Nur noch mit wenig Mühe zog ich meinen Bademantel an, stieg die Treppe hinunter und fand Tómas angekleidet schlafend auf dem Sofa vor. Die Küche war sauber und ordentlich, und es roch nicht mehr nach Whiskey oder Erbrochenem. Mir war, als wären sie nie in mein Privatleben eingedrungen oder hätten mich geschlagen und betrunken gemacht und zum Reden gebracht. Tómas schlief mit halboffenem Mund auf dem Rücken und glich einem großen Jungen. In die Tür war eine neue Scheibe eingesetzt worden und durch das Glas betrachtete ich das aufkommende graue Licht. Es kam von Osten herangekrochen, und als ich die Glocken von Arreguis Schafen hörte, verstand ich, daß ich fast zwölf Stunden hintereinander geschlafen hatte. Daß jetzt Tag drei nach dem Überfall beginnen sollte. Ich schaute zu Tómas hinüber und war von seiner Freundschaft gerührt. Er paßte auf mich auf, als wäre ich ein Kind. Als ich zum Telefon ging und Don Alfonzos Nummer wählte, kam immer noch keine Antwort, aber das Geräusch weckte Tómas, und er setzte sich mit einem verwirrten Ruck auf.
»Guten Morgen, Señor«, sagte ich. »Was wünschen der Herr zum Frühstück?«
Er lachte erleichtert und durchwühlte sein Haar.
»Ein Bad. Ich wollte dich nicht stören, deshalb …«
»Wenn der Herr gebadet hat, wird das Frühstück serviert sein.«
»Anscheinend geht’s dir besser, auch wenn du immer noch wie ein Raufbold aussiehst«, sagte er.
Er ging nach oben, und unverzüglich suchte ich in den Schränken was zum Trinken, aber falls die irischen Schläger etwas übriggelassen haben sollten, hatte Tómas es weggeschüttet. Meine Hände zitterten ein wenig, ich hatte einen trockenen Hals, eine Trockenheit, die sich durch Wasser nicht beheben ließ, obwohl ich drei Gläser hinunterstürzte. Ich kochte Kaffee, fand etwas Schinken, den Tómas von seinem Vater bekommen haben mußte, und machte zwei Omeletts, die Tómas so mochte. Während ich das Frühstück vorbereitete, sah ich
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