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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Arregui mit seinen Schafen den Hang hinaufziehen. Er sah aus wie alle anderen älteren baskischen Hirten, deren Lebensform allmählich verschwand, und die kleine gedrungene Gestalt verriet nichts von der Kraft, die ihr innewohnte, der Wildheit, die sie ergreifen konnte. Die beiden Hunde trieben munter, aber in ihrer eigentümlich trägen Art die Herde auf sattere Weiden.
    Ich dachte an die letzten Tage und wußte, daß es keinen Weg zurück gab. Ich konnte die Sache nicht mehr auf sich beruhen lassen, aber ich wußte nicht, wie ich ausreichend Antworten kriegen konnte, um neue Fragen zu stellen. Ich wußte nur, daß ich in den Koffer schauen mußte, obwohl ein Teil seiner Magie gerade darin bestand, daß ich nie wieder hineingeschaut hatte.
    Daß er einfach nur da war, daß er die Geheimnisse, Freuden und Irrtümer meines Lebens enthielt. Und daß ich nicht mehr genau wußte, was darin war, weil ich, wenn ich eine in weißes Papier oder einen Umschlag gesteckte Fotografie oder Notiz hineingelegt hatte, den Inhalt nicht jedesmal durchsah. Darin bestand ja gerade sein Wesen und sein Zauber, und ich wußte, daß ich dieses Geheimnis nun durchbrechen mußte. Ich mußte in Limes Bilder schauen.
    Tómas kam herunter, und wir aßen meine Omeletts und tranken Kaffee und Apfelsinensaft, den er auch besorgt hatte.
    Vielleicht hatte Arregui in der Zeit bei mir gewacht. Wir sagten nicht viel und aßen in friedlichem Schweigen. Von den beiden Iren gab es keine Spur, anscheinend waren sie aus Euskadi verschwunden, und den Blonden erwähnten wir nicht. In den Medien fiel darüber kein Wort. Tómas räumte auf, während ich ein Bad nahm. Ich ähnelte immer noch einem Boxer nach einem harten Fight, aber die Wunde unterm Auge sah sauber aus, als ich das Pflaster abzog. Ich klebte ein frisches darauf. Ich war mitgenommen, aber nicht kampfunfähig. Es tat weh, beim Haarewaschen die Arme zu heben, und der Rasierapparat war mit Vorsicht zu genießen, aber mit sauberem blauen T-Shirt, den Zopf am richtigen Platz, gewaschenen Jeans und meiner alten Lederjacke war ich bereit, das Flugzeug nach Madrid zu nehmen. Ich ähnelte in vieler Hinsicht einem mittelalten Rowdy.
    Gloria hatte immer gesagt, ich würde mich wie ein tough guy anziehen und Oscar sich wie ein wohlhabender Stutzer, weil wir unsere Jugend in den wirren Siebzigern kompensieren müßten, wo wir ungeachtet des Geschlechts alle gleich ausgesehen hätten. Jetzt sah ich nur noch wie ein furchtbar verprügelter Rowdy aus, was mir einen Hauch von Gefährlichkeit und geheimnisvoller Romantik verlieh, hätte Gloria wahrscheinlich gesagt. Oder sie hätte noch präzisiert: Es paßte zu dem Image, das ich mir immer erträumte. Wie Indiana Jones, der von einem gefährlichen Abenteuer heimkehrte. Im egoorientierten Durcheinander der Spätneunziger war alles Image und Rolle.
    Irgendwie fühlte ich mich ein bißchen euphorisch und gut gelaunt. Als hätten sie mir Schwermut und Vernunft gleichzeitig ausgeprügelt. Seit dem Traum hatte ich nicht mehr an Amelia und Maria Luisa gedacht, und als ich daran dachte, daß ich nicht an sie gedacht hatte, kam sofort die Sehnsucht, aber sie war jetzt schwächer, kaum der Rede wert. Als würde Amelia mich bitten, auch ein bißchen ans Leben zu denken. Und die Erinnerung an unser kurzes gemeinsames Leben ein mit Freuden und Sorgen erfülltes Geschenk werden zu lassen, das nie vergessen, aber in einer inneren Kammer verschlossen sein würde, um mich nicht mehr auffressen zu können wie ein seelischer Krebs.
    Zu meinem Aussehen mußte Tómas natürlich genau in dem Moment seinen Kommentar abgeben, als in dem kleinen Flughafen von San Sebastian mein Flug aufgerufen wurde. Ich hatte Glück. Wir kamen gerade rechtzeitig zu einem Abflug, und es waren noch Plätze frei.
    »Du siehst gräßlich aus, aber du scheinst eine verblüffende Laune zu haben.«
    »Schwarzer Humor«, sagte ich bloß und gab ihm die Motorradschlüssel. »Mach mal einen Ausflug. Frische Luft tut dir gut. Ich hol’s später ab.«
    »Arregui wird schon auf dein Haus aufpassen.«
    »Sag deinem Vater vielen Dank.«
    »Werde ich.«
    »Und dir auch danke. Für alles«, sagte ich, und es entstand eine kleine verlegene Pause.
    »Ich werd dein Motorrad schon ein bißchen ausfahren. Wieder jung werden, was? Ein junges Mädchen auf den Sozius setzen wie in alten Tagen und die Straßen von San Sebastian rauf und runter.«
    »Ja, schöne Tage waren das.«
    »Eigentlich nicht, sie werden in der Erinnerung

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