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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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dem Nachmittagshimmel erhob. So muß es in Rom gewesen sein, wenn das Volk zu den Gladiatorenkämpfen ging. Die kribbelnde Nähe des Todes, die man sehen und erleben konnte, während man selber außer Gefahr war. Ich entdeckte ein paar Touristen, aber es waren vor allem Spanier, die sich am Eingang drängten. Die Stierkämpfer auf dem Plakat kannte ich nicht. Ich hatte die Stierkämpfe lange nicht mehr verfolgt, hörte aber aus den Bemerkungen einiger aficionados heraus, daß der eine ein junger aufstrebender Andalusier war. Die Stiere stammten aus der Miura-Farm bei Sevilla, große, starke Tiere. Die richtigen aficionados kommen eigentlich vor allem wegen der Stiere, um zu sehen, wie diese halbtonnenschweren Tiere mit explosiver Geschwindigkeit und aggressiv gesträubtem Fell zum Angriff auf alles übergehen, was sich ihnen in den Weg stellt. Ich fing an, mich ein wenig zu freuen. Das Ritual hatte mich zu meiner Überraschung in seinen Bann geschlagen, und um ein Haar hätte ich vergessen, warum mich Don Alfonzo nach Las Ventas geschickt hatte. Wenn der dritte Stier über den Sand in die Sonne und seinen sicheren Tod dröhnte, sollte ein Mann mit der Sonntagsbeilage von El Pais unterm Arm auftauchen.
    Mit dem »Bitte nicht stören!«-Schild an meiner verschlossenen Hotelzimmertür hatte ich die Nacht erst auf dem Boden und dann in dem ungemachten Bett verbracht und war mit klarem Kopf erwacht, aber auch mit Schmerzen an meinen eingedrückten Rippen und der Wunde unterm Auge. Ich hatte das Zimmer aufgeräumt und den Koffer zugeschlossen und geduscht. Dann nahm ich im Restaurant meine erste große Mahlzeit seit etlichen Tagen ein. Danach ging ich zu Suzuki hinüber und unterwarf mich seiner psalmodierenden, melodischen Stimme und seinen heilenden Händen. Ich hatte das Gefühl, eine Krise überwunden zu haben, obwohl ich mir eigentlich nicht genauer erklären konnte, was sich an meinem seelischen Zustand geändert hatte. Suzuki sagte, mein Körper atme besser, und er könne die Konturen des wa fühlen, des Gleichgewichts in Körper und Seele. Als wäre ich durch eine Reinigung gegangen. Ich fühlte mich obenauf, und die pure Lust zum Trinken lag in weiter Ferne, aber ich wußte, sie war da. Es brauchte noch immer nicht viel, mich aus der Bahn zu werfen.
    Ich hatte mein Handy eingeschaltet. Es war voller Mitteilungen von Oscar und Gloria. Sie schimpften, daß sie mich nicht erreichen konnten. Die letzte Nachricht hatten sie gemeinsam auf Band gesprochen. Sie würden jetzt nach Irland beziehungsweise London abreisen und freuten sich darauf, mich wieder bei der Arbeit begrüßen zu dürfen. Sie wünschten mir einen guten Sommer. Sie hätten ihre Handys dabei und rechneten mit meinem Anruf. Ja, sie bestünden darauf, daß ich von mir hören ließe!
    Don Alfonzos Eintrittskarte war eine der teureren. Mein Platz war in der vierten Reihe auf der Schattenseite gerade unter dem Präsidenten, der die heutige Corrida leiten sollte. Langsam füllten sich die Zuschauerreihen. Tabakrauch stieg mit den summenden Stimmen in den blauen Himmel über Madrid. Bald waren fast alle Plätze besetzt. Die Messe und der Stierkampf fangen in Spanien pünktlich an. Rechts neben mir waren zwei leere Plätze, und links neben mir war noch ein leerer Platz. Vor mir saßen vier Männer, die in eine Diskussion über die verschiedenen Stiere verwickelt waren, die sie morgens beim Losen gesehen hatten, wo entschieden wird, auf welche der sechs Stiere die drei Stierkämpfer treffen und in welcher Reihenfolge. Sie waren Kenner und würden sich für nichts anderes interessieren als für den Stierkampf. Hinter mir saßen vier amerikanische Touristinnen. Man hörte ihren Stimmen an, daß sie vor dem, was sie erwartete, Angst hatten, aber sie wollten anscheinend nicht in die USA zurückkehren, ohne ihrer Entrüstung über die Tierquälerei in spanischen Arenen Luft gemacht zu haben. Im Augenblick schnatterten sie vor allem über die Ärgerlichkeit des Tabakqualms, obwohl wir unter freiem Himmel saßen, und die Verwerflichkeit, daß es in der Arena keine Nichtraucherplätze gebe. Sie waren sich einig, daß Europa stank.
    Ich legte das braune Sitzkissen auf den Stein, setzte mich und atmete den Duft von dicken Zigarren und Männer-Eau-de-Cologne und dem diskreten, teuren Parfüm der spanischen Damen. An den Tribünenreihen liefen Bier-und Wasserverkäufer entlang, andere boten Kognak, Whisky oder Wein feil. Ich kaufte eine Cola und eine Tüte Erdnüsse, sog den

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