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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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ein älterer Mann auf den freien Platz neben mich. Er hatte die dicke farbige Sonntagsbeilage von El Pais dabei und legte sie sich auf den Schoß.
    » Buenas tardes, Señor Lime«, sagte er.
    » Buenas tardes « , sagte ich und schaute ihn an.
    Er war ein kleiner Mann mit einer hohen, gewölbten Stirn. Das schwarze pomadisierte Haar war glatt zurückgekämmt, und er hatte einen schmalen Oberlippenbart über einem kleinen Mund.
    Er rauchte eine dicke kubanische Zigarre. Trotz der Hitze trug er einen hellen Anzug und einen sorgfältig gebundenen Schlips. Er sprach mit einer etwas trocken raspelnden Stimme und fast ohne den Mund zu bewegen, als fürchtete er Lippenleser.
    »Gefällt Ihnen unsere fiesta brava? « fragte er.
    »Nicht besonders. Die Stiere sacken zusammen, und los toreros scheinen eher ans Konto als an ihre Kunst zu denken.«
    »Sehr gut beobachtet. Könnte heutzutage für fast alles gelten.
    Man denkt mehr an das Geld als an die Kunst oder die Traditionen, die Spanien zu einem zivilisierten Land machen.
    Aber das ist Ihnen ja bekannt. Don Alfonzo sagte mir, Sie kennen und verstehen unser Land und wünschen ihm nur Gutes.«
     
    »Ganz richtig«, sagte ich.
    »So war es ja nicht immer«, sagte er.
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Sie haben einmal einer Gruppe angehört, die die zivilisierte Ordnung umstürzen wollte.«
    »Wenn Sie meinen, ich sei ein Gegner der Franco-Diktatur gewesen, dann haben Sie recht.«
    »Das ist eine Vereinfachung, Señor Lime. El Caudillo, gesegnet sei seine unsterbliche Seele, war ein weitblickender Mann. Er kannte unser kochendes Blut, unsere Brutalität, unsere Fähigkeit zu töten, unsere Faszination für den Tod, wofür die Corrida nur ein Beispiel ist, unseren Mangel an Toleranz, unseren Machismo und unseren unbeugsamen Stolz. Er hat es als seine Aufgabe angesehen, die Wunden des Bruderkriegs zu heilen und Spanien als moderne europäische Nation zu hinterlassen. Sein Projekt ist gelungen.«
    »Ich bin sicher, daß die Gefolterten und Hingerichteten für seinen Einsatz danken. Spanien war eine Eiterbeule Europas.
    Ein faschistisches Relikt, wo der Nazismus überlebte, nachdem er in Deutschland zugrunde gegangen war.«
    Er wurde nicht böse, sondern fuhr im gleichen gedämpften Tonfall fort.
    »Die Alternative wäre das Chaos gewesen. Es gab mächtige Kräfte, die den Untergang Spaniens wünschten. Kräfte im Land, Kräfte außerhalb des Landes. Der Caudillo hat es richtig gesehen. Spanien mußte lange Jahre seinen eigenen Weg gehen, um mit heiler Haut aus seiner Vergangenheit herauszukommen.«
    Ich meinte das Echo von anderen Dienern der Diktatur zu vernehmen. Von den Stasi-Spitzeln der ehemaligen DDR bis zu den faschistischen Bütteln verschiedener südamerikanischer Staaten. Sie handelten im Dienste einer Sache. Sie befolgten nur Befehle. Sie waren ohne Verantwortung, und sie verteidigten ihre Taten, bis der Tod sie einholte, denn sonst hätte ihr Leben keinen Sinn gehabt. Es war manchmal schwer zu begreifen, daß Diktaturen nur funktionierten, weil Tausende ihre Augen verschlossen und weitere Tausende für den Erhalt der Unterdrückung sorgten.
    »Sind Sie Historiker?« sagte ich.
    Er lachte.
    »So ungefähr. Aber wir wollen ja nicht über Politik oder Geschichte diskutieren. Ich bin hier, um meine Schuld gegenüber einem Mann zu begleichen, den ich respektiere.«
    Ich wollte noch etwas über Franco sagen, aber das Publikum fing an zu zischen und zu pfeifen, so daß wir unser eigenes Wort nicht mehr verstanden. Der dritte Stier hinkte. Er stand mitten in der Arena, und als der Stierkämpfer ihn mit dem Umhang in Trab brachte, sah man deutlich, daß er schlimm auf dem linken Hinterbein lahmte. Der Stierkämpfer sandte einen appellierenden Blick zum Präsidenten, und kurz darauf kam eine Schar Ochsen in die Arena. Der große wütende Kampfstier wurde zur harmlosen Kuh und ließ sich von den Ochsen, die er von seiner Farm in den weiten Ebenen kannte, aus der Arena locken. Nun würde er friedlich wie ein Opferlamm hinaustrotten, um von einem Schlachter in den Gängen unter Las Ventas mit einem elektrischen Schlag vor die Stirn getötet zu werden.
    »Man glaubt, es gebe einen Ausgang, aber alle Wege führen in den Tod«, sagte der Mann an meiner Seite.
    »Sie kennen meinen Namen. Ich kenne den Ihren nicht«, sagte ich.
    »Nennen Sie mich der Einfachheit halber Don Felipe.«

»Don Felipe. Wenn Sie kein Historiker sind, was sind Sie dann?«
     
    Er war wie mein

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