Der Augenblick der Wahrheit
auf den Stierkämpfer direkt unter mir. Er trank einen Schluck Wasser, bekreuzigte sich und nahm den roten Umhang, die muleta, und seinen leichten Degen, den er in den Umhang steckte, um ihn zu spannen. Sein Gesicht war blaß und seine dunklen Augen waren voll Angst, aber er grüßte stolz, als er seinen Hut abnahm und ihn einer Frau einige Reihen von mir entfernt zuwarf und ihr damit den Stier widmete. Ich machte ein paar schnelle Bilder mit der Leica. Ich hätte ein Tele haben müssen. Das einzige, was ich einfangen wollte, war die nackte Angst in seinem Gesicht, die leeren Augen mit den kleinen Pupillen. Es waren meine ersten Fotos seit Amelias und Maria Luisas Tod, abgesehen von den Ameisenfotos, und ich hatte mit meiner gewöhnlichen Sicherheit die Kamera gehoben und scharf gestellt und Licht und Abstand bewertet, fast ohne Bewußtsein, lediglich mit dem sicheren Gefühl, daß hier ein Motiv war. Es war ein phantastisches Gefühl, ein unbeschreiblicher Moment, in dem ich plötzlich wieder handelte und auf meine Umgebung reagierte, indem ich meinem Metier nachging: den Augenblick festzuhalten und einzufrieren. Ich empfand es wie einen Augenblick der Wahrheit, einen Augenblick von der gleichen Kraft wie der, welcher den Stier dort unten im blutbespritzten Sand erwartete.
Der Stierkämpfer war älter, als ich gedacht hatte. Er hatte einen jungenhaften, schmächtigen Körper, aber sein Gesicht war nicht mehr jung, und am besten erinnere ich mich an die Angst in seinem Gesicht, als er in den Sand hinaustrat, um dem Kampfstier allein entgegenzugehen. Er wußte, daß der Stier gerade jetzt, geschwächt vom Blutverlust, am wütendsten und gerissensten war und daß er ihm innerhalb weniger Minuten den Garaus machen mußte. Er hatte die banderillas selbst angebracht, um seine Angst zu überwinden und weil es mutiger aussieht, als es ist. Die schwere Kunst und die gefährlichen Minuten aber fangen an, wenn er allein mit dem Stier in der Mitte der Arena steht, und das gefiel ihm gar nicht. Er lockte den Stier zur Barriere hinüber, damit seine Helfer im Falle eines Falles in der Nähe wären, und machte sich bereit, so schnell er konnte, ohne als Feigling betrachtet zu werden. Der Stier war ein harter Brocken, ständig stieß er mit dem linken Horn und ging in die Knie, wenn der Torero versuchte, ihn mit dem Umhang um die eigene Achse zu drehen. Es war nicht leicht, ihn zum Angriff zu bewegen. Er glich schwer prustend, mit blutverkrustetem schwarzem Fell, eher einer verzweifelten Kuh, und der Torero mußte sehr nah heran, damit er überhaupt einen Schritt machte. So ging es nicht weiter. Da nahm er den Degen, stellte sich zum Augenblick der Wahrheit in Positur und tötete den Stier ohne großes Zeremoniell. Zumindest war er ein Profi.
Er grüßte das Publikum, verbeugte sich vor seiner Dame und dem Präsidenten, und unter vereinzeltem Klatschen zogen Maultiere den toten Stier hinaus. Ein Sonntagnachmittag wie so viele andere in Spanien. Sensationen waren selten in der Arena, wenn man nicht vom Tod selbst fasziniert war. Wenn die Farben der Trachten, die atavistische Mystik des Schauspiels und die vorgeschichtliche Ästhetik des Rituals ihren Reiz verloren hatten. In dem Moment, in dem man Mitleid für den Stier empfindet, verliert der Stierkampf seinen Zauber. Mir war klar, warum ich dem Töten am Sonntag nichts mehr abgewinnen konnte. Die Vorstellung hatte für mich keinen Sinn mehr.
Sie hatte sie auch nicht für die Amerikanerinnen hinter mir.
Während des ganzen Kampfes hatte ich ihre verärgerten Ausbrüche gehört, und als das Maultiergespann den großen Kadaver durch den blutigen Sand schleppte, hatten sie genug und verließen unter lautstarkem Protest über die Tierquälerei ihre Plätze. Es war schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatten.
Sie würden ihrer Lokalzeitung einen Leserbrief schreiben. Es hatte ihnen körperlich weh getan. Jetzt hatten sie ein Thema, über das sie in Iowa schnattern konnten.
Ich bestellte einen Kognak und ein Bier, während der zweite Stier ohne sonderliche Variation getötet wurde. Das Tier war besser. Dafür war der Stierkämpfer schlechter, er ließ seinen picador das kraftvolle Tier derart zurichten, daß es in der faena am Schluß ebenfalls in die Knie ging. Er war ein schlechter Töter und mußte es unter dem verächtlichen Zischen und Pfeifen der Zuschauer dreimal versuchen.
Ich bestellte noch einen Kognak, und als das Hornsignal den dritten Stier ankündigte, setzte sich
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