Der Augenblick der Wahrheit
Geruch von Sand und Holz und Tieren ein und genoß das erwartungsvolle Rumoren der Menge. Drüben auf der der Sonne zugewandten Tribüne sah man ein synchrones Handballett, wenn die Zuschauer hastig die Fächer in der stillstehenden Luft bewegten. Auf der billigen Sonnenseite waren Gesichter und Köpfe von Hüten oder gefalteten Zeitungen vor den Sonnenstrahlen geschützt, die den frisch geharkten Sand gelb erglühen ließen.
Das Orchester eröffnete den Stierkampf mit einem Hornsignal, und die drei Stierkämpfer machten sich mit ihrer cuadrilla bereit, den Präsidenten zu begrüßen. Sie bekreuzigten sich, das Orchester begann mit dem Paso doble, und sie schritten über den Sand, um das uralte Spiel um den Tod aufs neue zu spielen.
Mit großem Tempo und hoch erhobenem Haupt kam der erste Stier aus seinem dunklen Verschlag. Er hielt einen Augenblick in der grellen Sonne inne, wohl überrascht von der Menschenmenge, den Gerüchen und dem Lärm. Da bemerkte er den Gehilfen des Stierkämpfers, den banderillero mit der gelbroten schweren capa, der hinter der Barriere hervorgetreten war. Er würde die ersten Kampfschritte ausführen, damit der Stierkämpfer seinen Gegner beobachten und seine Stärken und Schwächen erkennen konnte. Der Stier kratzte mit den Hufen, schwenkte den Kopf und brüllte, und das Publikum begann zu pfeifen. Daß der Stier sein Territorium markierte, war ein Zeichen von Feigheit. Er sollte bedenkenlos angreifen, sonst nichts. Der Gehilfe ließ ihn hinter seiner capa herrennen, und el matador de toros persönlich trat hervor, um die Auseinandersetzung einzuleiten. Der Stierkämpfer schlug ein paarmal mit dem Umhang, und der Stier attackierte sofort und schnell und stieß mit dem linken Horn nach oben, als el torero das große schwarze Tier mit ein paar eleganten verónicas um sich kreisen ließ. Beim dritten Anlauf knickte der Stier in den Vorderbeinen ein, als er eine Drehung versuchte, und ein enttäuschtes Raunen ging durch die Zuschauer. Schwache Beine, das große Problem der modernen spanischen Kampfstiere. Sie werden zu hastig hochgepäppelt. Ein Signal aus dem Orchester, und die Pferde zottelten herein. Mit ihrem dicken Schutz über Bauch und Flanken und den zugedeckten Augen glichen sie prähistorischen Echsen oder plumpen Brauereipferden. Der picador saß aufrecht mit der Lanze in der Hand und lehnte sich gegen den Stier, der vom Stierkämpfer mit einer Bewegung des Handgelenks von der capa weggelockt worden war und so dem Pferd gegenüberstand. Der Stier griff sofort an, und das Blut strömte, als der picador die Lanze in den gewaltig aufragenden Rückenmuskel rammte. Das Publikum fing verächtlich zu pfeifen an, als der picador die Lanze in den Rücken zwängte, um die Angewohnheit des Stiers zu brechen, mit dem linken Horn nach oben zu stoßen. Aber der Kampfstier gab nicht auf und drückte mit einer solchen Kraft gegen die Lanze, daß der schwerfällige Gaul gegen die Holzbarriere gequetscht wurde, bis die capas, die um den Stier herumwirbelten, ihn weglocken konnten. Nun wußte er, es war Ernst, es gab keine Gnade. Nur wenn alle Feinde von diesem warmen Sand vertrieben waren, würde er seinen Frieden haben.
Er bekam noch eine Runde mit der Lanze, ehe sich der Präsident dem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert des Publikums, weil der Stier unnötig geschwächt und ermüdet wurde, beugte und dem picador Einhalt gebot. Der Stier stand mitten in der Arena und atmete schwer, und aus der Wunde im Nacken strömte Blut.
Die Zuschauer klatschten, als ihnen der Stierkämpfer persönlich mit seinen banderillas zuwinkte, den kurzen, farbenprächtigen Spießen. Er wollte sie selbst anbringen, statt es wie üblich einem seiner Gehilfen zu überlassen. Diagonal lief er auf den Stier zu, der ihn bemerkte und losrannte, und einen Moment lang schienen Mann und Tier miteinander zu verschmelzen, als er sich leichtfüßig auf die Zehenspitzen stellte, in kurzer Drehung herumwirbelte und die beiden Spieße genau in der rechten Seite des Rückenmuskels plazierte. Der Stier brüllte und schlug mit dem ganzen Körper, um die lästigen, schmerzhaften Dinger abzuschütteln. Das Publikum beklatschte die perfekt angebrachten Spieße sowie den wiedergewonnenen Mut des Stiers. Die nächsten beiden banderillas glückten auf die gleiche elegante Weise, aber das dritte Paar fiel ab, als der Stier wegen seiner schwachen Beine in die Knie ging.
Blutend kniete er mitten in der Arena und wartete auf sein Schicksal. Ich sah
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