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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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fühlte, wie die Kälte durch die Sohlen ihrer Bauarbeiterstiefel nach oben drang, und stellte sich auf die Hacken, um dem Frost so wenig Angriffsfläche wie möglich zu geben.
    Plötzlich griff Scholle nach ihrem Arm und zog ihre Hand aus der Jackentasche.
    »Was ist das?«
    Die Kälte attackierte jetzt ihre nackten Finger wie ein Raubtier, das auf seine warme Beute gewartet hatte.
    »Die Gegenleistung. Sie haben mir zwar nicht helfen können, aber versprochen ist versprochen.«
    Alina protestierte: »Stoya wollte mir ein Tonband geben. Keine Visitenkarte.«
    Zorbach war so geistesgegenwärtig gewesen, die Aufnahmefunktion seines Handys zu aktivieren, als er mit Frank Lahmann telefonierte. Sein letztes Gespräch mit dem Augensammler, sein letztes Gespräch überhaupt, war Wort für Wort festgehalten worden. Von der Begrüßung bis zum Schuss in den Kopf. Wie die gesamte Öffentlichkeit und die Presse hatte auch Alina es bislang nicht hören dürfen.
    »Wieso sind Sie eigentlich so scharf auf das Tape?«, fragte Scholle.
    »Das würden Sie nicht verstehen.«
    »Warum lassen Sie es nicht auf einen Versuch ankommen? Ich bin gar nicht so begriffsstutzig, wie ich manchmal tue.«
    Alina seufzte und schüttelte den Kopf, als führte die Unterhaltung hier ohnehin zu nichts. Dann gab sie sich einen Ruck und versuchte, nicht allzu entnervt zu klingen.
    »Julians Leiche wurde nie gefunden?«
    »Bis jetzt nicht, nein.«
    »Sie lag nicht in dem Frachtraum des Schiffes, in dem Sie mit Zorbach waren?«
    »Nein. Aber das taten die anderen Opfer auch nie. Der Augensammler hat sie immer an einen anderen Ort gebracht.«
    »Ja, richtig. Aber wie viele Minuten kamen Sie zu spät?«
    »Das Ultimatum war seit sieben Minuten abgelaufen.«
    »Wie lange, schätzen Sie, braucht ein Mann, um aus dem Bauch des Schiffes nach oben an Deck zu rennen, die Gangway runter bis zu seinem Auto am Pier?«
    »Was weiß ich? Zwei, drei Minuten vielleicht.«
    »Und mit einem toten Jungen im Arm?«
    »Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen, Alina.« Scholle imitierte das Geräusch einer aufleuchtenden Glühlampe, wie man es aus Zeichentrickfilmen kennt. »Wir haben das alles durchgerechnet. Frank Lahmann muss Julian schon vor Ablauf der Frist aus dem Versteck geholt haben.«
    »Oder er hat das Schiff nie verlassen.«
    »Wir haben alles durchsucht. Glauben Sie mir. Weder war Frank an Bord, noch hat er Julian auf dem Schiff ermordet.«
    »Was macht Sie so sicher?«
    »Unter anderem das Band.«
    »Das habe ich mir gedacht. Genau deshalb will ich es haben.«
    Alina zog sich die Kapuze ihres Parkas tiefer in die Stirn. Trotz des dicken Lammfutters und ihrer schwarzen Perücke fror sie, als hätte sie den Kopf in Eiswasser getaucht.
    »Wieso genügt Ihnen nicht Stoyas Wort?«, fragte Scholle. »Was für einen Unterschied macht es, wenn Sie es mit eigenen Ohren hören?«
    »Wieso wollen Angehörige einen letzten Blick auf den Verstorbenen werfen?«, konterte sie. »Ich kann das, was Sie sagen, nur glauben, wenn ich es selbst erlebe.«
    Und ich kann von Zorbach nur Abschied nehmen, wenn ich ein letztes Mal seine Stimme höre. Aber das geht dich Penner nichts an.
    »Julian wurde nicht auf dem Schiff ermordet, Punkt. Ich weiß nicht, was daran so unglaublich sein soll?«, fragte Scholle.
    »Es würde bedeuten, dass wir unser Schicksal verändern können.«
    Alina spürte, dass der Kommissar einen abfälligen Kommentar abgeben wollte, und redete schneller. »In einer meiner letzten Visionen, damals, kurz bevor Zorbach die Zwillinge befreite, sah ich Julians Ende. Ich sah ein Schiff. Ich sah einen Frachtraum, vielleicht den, den Zorbach betreten hat. Und ich sah, wie Julian erstickte.«
    »Offensichtlich haben Sie sich geirrt.«
    Sie lachte freudlos. »Was würde ich darum geben, wenn es so wäre.«
    Dann wäre es Zorbach nämlich gelungen, die Kette des Bösen zu durchbrechen. Dann gäbe es keine Vorherbestimmung, und wir könnten die Abfolge der Dinge verändern. Und wenn dem so ist, dann darf ich dir unter gar keinen Umständen von meiner letzten Vision erzählen, Scholle.
    »Bitte geben Sie mir das Band«, forderte sie erneut.
    »Es ist kein Band, sondern ein USB -Stick. Und den bekommen Sie nicht, das verstehen Sie doch, oder?«
    »Nein, tue ich nicht. Ich hatte eine Abmachung mit Stoya.«
    »Ach ja, hatten Sie?« Scholle lachte ironisch. »Mein Boss ist vielleicht etwas naiv, aber mich können Sie nicht täuschen, Schätzchen. Glauben Sie wirklich, ich merke nicht,

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