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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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später vollständig aufgelöst – wie eine Tuschezeichnung, die man in den Regen gelegt hat. Aus diesem Grund trugen alle Menschen, denen Alina in ihren Träumen oder
Erinnerungen
begegnete, das Antlitz ihrer Eltern. Und deshalb starrte sie gerade auf den Kopf ihrer Mutter, als sie sich über die Wand beugte und von oben herab in eine zweite Toilettenkabine blickte.
    Es muss eine öffentliche Toilette sein. Suker spannt auf einer Damentoilette in die Nachbarkabine.
    Wie zur Bestätigung sah sie die Hand der Frau unter sich nach dem Spender mit dem Klopapier greifen.
    Now let your mind do the walking
    And let my body do the talking
    Der Gesang endete abrupt, bevor der Refrain beginnen konnte, und fast hätte sich Alina darüber geärgert, wenn die Frau nicht plötzlich zu ihr hochgeschaut hätte …
    Zu mir? Nein, zu Suker.
    … etwa im gleichen Moment, in dem der Radiomoderator, der gerade das Lied abgewürgt hatte, zu sprechen begann:
»Heute ist der sechzehnte Februar, und hey, ich fürchte, ich muss mal einen Gang runterschalten und weniger Kaffee trinken, denn …«
    Mehr konnte sie nicht verstehen, da die Worte des Moderators von denen der überraschten Frau überlagert wurden. Offensichtlich war sie eine von Sukers ehemaligen Patientinnen, denn sie flehte:
»Nein, bitte nicht schon wieder …«
    Dann stand sie auf.
    Nein. Falsch. Sie steht nicht auf. Sie wird hochgerissen. Die Drahtschlinge lässt ihr keine andere Wahl. Die Schlinge, die eben noch in meiner Hand lag und die ich jetzt um den Kopf meines Opfers gelegt habe, zieht sich zu, und deswegen röchelt jetzt die Frau und strampelt mit beiden Beinen, versucht aber gleichzeitig, sich nicht mit ihrem Gewicht dagegenzulehnen, weil sie ja weiß, dass ich ihr sonst das Genick breche. Und deshalb ist sie mir ausgeliefert, das sehe ich an ihren Augen. An den milden, gutmütigen, angstgeweiteten Augen meiner Mutter, in denen nicht nur Panik, sondern eine mir in dieser Sekunde unverständliche Form des Begreifens liegt, bis ich Sukers Stimme aus meinem Mund kommen höre, und jetzt weiß ich, wen er als Nächstes heimsuchen wird, kurz nachdem er aus der Haft gelassen wird.
    Sein nächstes Opfer ist eine ehemalige Patientin, die er schon einmal in seiner Gewalt gehabt haben muss, denn Suker sagt:
    »Na, erinnerst du dich an mich? Jetzt ist es so weit. Ich bin zu dir zurückgekommen, um zu beenden, was ich begonnen habe.«
    Von dieser Sekunde an dauerte Alinas Vision noch etwa zwanzig Sekunden, bevor sie vollends unerträglich wurde.

12. Kapitel
    E s gab drei Menschen, denen sie eine schlimme Krankheit und lebenslanges Siechtum an den Hals wünschte. Einer war der Arzt, wegen dessen Fehldiagnose der Magenkrebs ihres Vaters ein Jahr lang mit Kräutertee behandelt wurde, bis er Blut spuckte und wenig später verstarb. Der zweite hatte sich in ihr Haus geschlichen und, während sie schlief, in ihr Bett gelegt, um sie sexuell zu belästigen. Und der dritte stand gerade neben ihr in der Kälte auf einem Friedhof.
    »Wo ist Stoya?«, fragte Alina.
    »Dringender Termin beim Staatsanwalt, deshalb hat er mich geschickt.«
    »Tja, das ist dann wohl Pech, dass Sie den weiten Weg hier raus ganz umsonst gemacht haben. Ich rede nur mit Stoya und nicht mit seinem Schoßhündchen.«
    »Wieso so feindselig?«, fragte Mike Scholokowsky.
    »Hm, lassen Sie mich nachdenken.« Alina legte die Stirn in Falten. »Vielleicht, weil Sie das letzte Mal, als ich Ihnen begegnete, einen guten Freund von mir mit dem Gesicht auf eine glühende Herdplatte drücken wollten?«
    Sie streifte den Handschuh ab und präsentierte die linke Handfläche. Sie war übersät mit hellroten Wulstnarben, ihr ganz persönliches Andenken an jenen Tag vor knapp zwei Monaten. Zum Glück waren weder Sehnen noch Muskeln zerstört worden, sonst wäre sie heute berufsunfähig.
    »Das war eine Stresssituation, Alina. Es tut mir leid.«
    »Es tut Ihnen
leid?
«
    Für Mike Scholokowsky, der von allen auf dem Revier »Scholle« genannt wurde, hatte es im Falle des Augensammlers von Anfang an offenbar nur einen einzigen Verdächtigen gegeben: Alexander Zorbach. Scholle war sich seiner Sache so sicher gewesen, dass er Zorbach in einer stillgelegten Krankenhauskantine hatte foltern wollen, um von ihm das Versteck der Kinder zu erfahren.
    »Sie hatten Frank Lahmann schon verhört, Sie Idiot. Sie haben ihn laufenlassen. Ihre Unfähigkeit hat dazu geführt, dass Zorbach jetzt tot ist und der Augensammler bis heute frei

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