Der Augenjäger / Psychothriller
dass Sie mir etwas verheimlichen?«
Verdammt.
Alina fühlte, wie ihr Gesicht noch dunkler wurde.
Die Sicherheitsüberwachung.
Wie blöd kann man sein?
Sie hatte die versteckten Mikrophone vergessen, die jedes Wort im Behandlungszimmer aufgezeichnet hatten. Während Sukers Behandlung war es viel zu lange still gewesen. Wenn sie wirklich nichts gespürt hätte, wieso hatte sie dann nicht sofort abgebrochen?
»Sie haben mir nicht alles gesagt, also bekommen Sie auch nicht das Audiofile, so einfach ist das.«
Der Kies knirschte wieder unter Scholles Gewicht, diesmal, weil der Kommissar sich zum Gehen entschlossen hatte.
»Moment mal, wo wollen Sie hin?«, rief sie ihm hinterher.
»Ins Warme.«
»Und was soll ich hiermit?« Sie wedelte mit der Visitenkarte in der Luft, die Scholle ihr in die Hand gedrückt hatte.
»Ich bin mir sicher, Sie werden es herausfinden, Alina.«
Sie öffnete den Mund und sagte nichts. Stattdessen horchte sie dem Knirschen der Schritte nach, die sich langsam von ihr entfernten, genau wie die Stimme des Polizisten. »Schon sehr bald, da bin ich mir sicher.«
13. Kapitel
D ie Wanderung am Waldrand entlang dem See schien ihm gutzutun. TomTom hatte die Nacht schlecht geschlafen. Normalerweise lag er auf dem Läufer neben Alinas Bett, doch gestern hatte er seinen Stammplatz gegen ein Lager direkt unter der Heizung ausgetauscht. Mehrfach war sie durch sein fiebriges Stöhnen geweckt worden, hatte seine trockene Nase gefühlt und ihm eine große Schüssel Wasser gebracht, von dem er aber nur wenige Schlucke nehmen wollte. Es war die verdammte Dauerkälte. Sie machte nicht nur den Menschen zu schaffen, die ihrer Stadt mittlerweile den Namen »Berlingrad« verpasst hatten, sondern allen Lebewesen, die in ihr gefangen waren. Die Vögel fanden unter der dichten Schneedecke kein Futter, die Fische erstickten in den zugefrorenen Seen, und der Tierschutzverein empfahl, Katzen nicht mehr aus den Häusern zu lassen und mit Hunden nur noch die nötigsten Wege zu gehen, auch wenn diese ganz offensichtlich über bessere Regenerationskräfte verfügten als die geschätzten zwölftausend Berliner, die momentan unter der Grippewelle litten. Heute Morgen noch hatte TomTom sein Futter kaum angerührt, aber jetzt zog er munter an seinem Geschirr voran, als könne er es gar nicht erwarten, auf die Insel zu kommen.
Schwanenwerder
7
Das war alles. Mehr hatte die Prägung auf der Vorderseite der Visitenkarte nicht verraten, die Scholle ihr auf dem Friedhof gegeben hatte. Kein Name, keine Postleitzahl, keine weiteren Angaben, wer dort wohnen könnte, wobei
residieren
sicherlich das treffendere Verb gewesen wäre. Alina lebte seit vier Jahren in Berlin. Lang genug, um zu wissen, dass sie sich von dem Moment an, seitdem sie das Strandbad hinter sich gelassen hatten, in der teuersten Wohngegend der Hauptstadt befanden.
Sicher nett für einen Spaziergang, aber definitiv nichts, wo ich mich wohl fühle.
Mit jedem Schritt wuchs ihr Unbehagen. Ihr Magen grummelte, doch sie führte es nicht auf das karge Frühstück zurück, das sie heute zu sich genommen hatte.
Es ist arschkalt, ich krieg Durchfall, und ich weiß nicht, wo ich bin, also was zum Teufel hab ich hier verloren?
Im Gegensatz zu ihr schien TomTom die Bestimmung ihres Spaziergangs zu kennen, jedenfalls zog er zielsicher voran und stoppte nur hin und wieder, um sie vor einem Schlagloch oder einem in die Straße ragenden Ast zu warnen. Der Wannseeweg hatte keinen Bürgersteig, und sie gingen auf der linken Seite, um von entgegenkommenden Fahrzeugen besser gesehen zu werden. Bislang aber war noch kein Mercedes, Porsche oder Geländewagen an ihnen vorbeigerauscht, die sie hier in den Doppelgaragen der Villen vermutete.
Sie waren nun schon eine Dreiviertelstunde unterwegs, seitdem Alina am S-Bahnhof Wannsee ausgestiegen war. Fünfundvierzig Minuten, von denen sie mindestens vierundvierzig an ihrem Verstand gezweifelt hatte.
Ein Bulle ist sauer, weil du ihm nicht die Zukunft vorhergesagt hast, und gibt dir eine Visitenkarte. Jeder normale Mensch wäre zu Hause im Warmen geblieben, aber du blöde blinde Kuh willst natürlich an deiner Neugier zugrunde gehen.
Sie passierten eine kleine Brücke, die Schwanenwerder mit dem Zehlendorfer Festland verband, was Alina an dem veränderten Wind spürte. Außerdem hörte sie das Knirschen der Eisschollen unter ihr. Ab jetzt mussten sie nicht mehr auf der Straße gehen, sondern konnten einen schmalen Gehweg benutzen.
Die
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