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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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will. Aber aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstehe, hat es nun mal beim Augensammler funktioniert. Und eines habe ich seit der Sache mit meinem Sohn gelernt: Man muss sich an jeden Strohhalm klammern, sonst macht man sich später auf ewig Vorwürfe, nicht alles versucht zu haben.«
    Vor einigen Jahren hatte sich Scholle eine längere Auszeit vom Polizeidienst genommen, um seinen Sohn zu suchen. Der vierjährige Marcus Scholokowsky war von Scholles russischer Ehefrau in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in ihr Heimatland entführt worden. Ihre Spur verlor sich irgendwo zwischen Moskau und Jaroslawl. Scholle hatte zu lange gezögert. Als er in Russland eintraf, waren Mutter und Sohn bereits untergetaucht. Scholle hatte Marcus nie wiedergesehen.
    »Ich will die Bösen einsperren, Alina. So einfach ist das. Und um das zu erreichen, bin ich mir ebenso wenig wie Stoya zu schade, etwas auszuprobieren, was nicht im Handbuch steht.«
    »Wie Folter zum Beispiel.«
    »Ja, auch das«, gab er unumwunden zu. »Und was ist daran falsch? Ich stelle Ihnen mal eine ganz einfache Frage, Alina. Nehmen wir zwei Fußballteams. Das eine ist bis an die Zähne bewaffnet, muss sich an keine Regeln halten und darf jeden Spieler, der sich nähert, zusammenschlagen, anschießen oder sogar umbringen. Die andere Mannschaft hingegen wird ständig vom Schiedsrichter überwacht, darf nur mit Sportklamotten aufs Feld und kriegt eine rote Karte, wenn gefoult wird. Was glauben Sie, welches Team gewinnt?«
    »Die Guten können das Spiel nicht gewinnen, wenn sie fair spielen?«
    »Korrekt.«
    »Stammtisch-Bullshit. Aber danke, dass Sie so ehrlich zu mir sind. Da fällt es mir noch leichter, Sie zu hassen.«
    Und anzulügen.
    Immerhin hatte sie mit der öffentlichen Toilette womöglich einen Anhaltspunkt, wo Suker nach seinem nächsten Opfer suchen würde, sobald er auf freiem Fuß war. Und der Moderator im Radio hatte sogar das konkrete Datum verraten, wann der Augenarzt wieder zuschlagen würde.
    »Heute ist der sechzehnte Februar, und hey, ich fürchte, ich muss mal einen Gang runterschalten …«
    Der sechzehnte Februar.
    Also nur noch fünf Tage – und morgen schon würde Suker entlassen. Aber es war dennoch zu früh, um der Polizei davon zu erzählen.
    Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Die Untersuchung im Gefängniskrankenhaus lag erst eine Stunde zurück, und wenn es wirklich stimmte, was sie ganz zum Schluss der Behandlung erfahren hatte, dann war es höchst fraglich, ob sie dieses Wissen mit jemandem teilen durfte. So gesehen konnte sie vielleicht sogar von Glück reden, dass Stoya seinen Assistenten geschickt hatte. Wäre er selbst gekommen, hätte Alina noch schlechter lügen können.
    »Also schön.«
    Sie hörte, wie Scholle seine Hände, die in dicken Handschuhen steckten, rhythmisch zusammenschlug.
    »Aber trotzdem danke, dass Sie es wenigstens versucht haben.« Dem Knirschen nach zu urteilen, trat der Polizist mit der Spitze seines Stiefels in den Kies, mit dem alle Friedhofswege aufgeschüttet waren.
    »Man hat ihn übrigens ausgebuddelt«, sagte er und traf sie damit völlig unvorbereitet.
    »Bitte?«
    »Zorbachs Sarg. Irgendwelche Penner haben ihn gestern Nacht aufgebrochen und Teile der Leiche mitgenommen.«
    »Sie verarschen mich?«
    »Na klar. Das mach ich am liebsten. Bei minus hundert Grad auf einem Friedhof stehen und Blinde auf den Arm nehmen.«
    Irgendwo außerhalb des Friedhofsgeländes schien es ein Leben zu geben, das sich mit einem lautstarken Hupkonzert bemerkbar machte, aber hier, direkt vor Zorbachs Grab, fühlte Alina sich wie auf einem anderen Planeten.
    »Das glaube ich nicht.«
    »Sie können es ja nicht sehen, aber die Erde hier ist noch ganz frisch, und die herausgerissenen Blumen sind nicht ersetzt.«
    »Aber wozu? Das ist doch Irrsinn.«
    Scholle grunzte zustimmend. »Kann man wohl sagen. Muss eine viehische Arbeit gewesen sein. Der verdammte Boden ist tiefgefroren.«
    Alina hörte in einiger Entfernung die Schritte zweier Menschen. Sie wusste, dass sie in einem relativ verwinkelten Teil des Friedhofs standen, durch eine Hecke und mehrere Bäume von den Blicken anderer Besucher abgeschirmt. Die Schritte entfernten sich, dennoch senkte sie die Stimme. »Warum? Wer tut so was?«
    »Wer entfernt Frauen die Augenlider, bevor er sie vergewaltigt?« Scholle trat wieder wütend in das Kiesbett. »Das ist eine kranke Welt, Alina. Ich frag mich nur manchmal, ob wir die Ärzte oder die Patienten darin sind.«
    Sie

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