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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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unterbrochen wurde. Ich schloss die Augen und konnte mir bildhaft vorstellen, wie Tamara, im Halbdunkeln sitzend mit einer Taucherbrille über den verheulten Augen, verzweifelt den Kopf schüttelte.
    »Ich will nicht darüber reden«,
schluchzte sie.
    »Weshalb nicht?«
    »Ich habe Angst.«
    »Wovor? Suker, der Mann, der Ihnen das angetan hat, sitzt in Haft, Tamara. Er ist weggesperrt. Er kann Ihnen nichts mehr tun.«
    Stoya schien etwas vom Mikrophon abzurücken, vermutlich war er aufgestanden, um Tamara beruhigend die Hand auf die Schulter zu legen. Ich glaubte nicht, dass er so weit gegangen war, sie zu umarmen; so viel Einfühlungsvermögen war ihm nicht gegeben, auch wenn die Zeugin das in dieser Sekunde bitter nötig gehabt hätte. Es dauerte nicht lang, dann war Tamara wieder zu hören. Sie klang eine Spur gefasster.
    »Nicht vor ihm.«
    »Wie bitte?«
    »Suker ist mit mir fertig. Ich habe keine Angst mehr vor ihm.«
    »Sondern?«
    »Er ist nicht allein.«
    Ich schlug die Augen auf und sah zu Scholle, der mir ebenfalls einen wissenden Blick zuwarf, als wolle er mir sagen, dass wir uns jetzt der Pointe der Geschichte näherten.
    »Wie bitte? Habe ich Sie richtig verstanden?«,
fragte Stoya aufgeregt.
»Hatte er einen Komplizen?«
    Pause. Rauschen. Danach war wieder der Ermittler zu hören.
    »Tamara, bitte. Das ist jetzt ganz wichtig. Nur noch die eine Frage für heute: Wer hat Suker geholfen?«
    »Nein, das darf ich nicht sagen. Ich kann es nicht.«
    »Tamara, wie sollen wir Sie schützen, wenn wir nicht wissen, …«
    »Ich kann es nicht«,
wiederholte die Zeugin, mit jedem Wort lauter werdend. Am Ende schrie sie:
»Aus! Machen Sie das Ding da aus! Sofort …«
    Dann stoppte das Band.
     
    Scholle nahm die Kassette aus dem Autoradio und hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger in Augenhöhe.
    »Die Aufnahme entstand, wenige Tage nachdem wir Tamara Schlier aufgegriffen hatten. Wie alle Opfer hatte Suker sie an einem Ort ausgesetzt, den unsere Profiler ›sexualbezogen‹ nennen. Die erste Frau fanden wir auf dem Hof eines ehemaligen, jetzt leerstehenden Bordells. Eine andere war an die Mülltonne auf einem von Strichern bevorzugten Parkplatz gekettet. Tamara konnte sich befreien und wurde entdeckt, als sie völlig verstört durch das Treppenhaus eines Fabrikgebäudes irrte, in dem sich mehrere Pornofilmproduktionen eingemietet hatten.«
    Gewalt als Ersatzbefriedigung,
schoss es mir durch den Kopf. Der Bereich in meinem Gehirn, der für die nüchterne Faktenanalyse zuständig war, funktionierte ganz offensichtlich besser als meine für Emotionen verantwortlichen Areale.
Der Täter verstümmelt die Frauen, um seine sexuelle Gier abzubauen. Vermutlich bekommt er einen Orgasmus, sobald er das Skalpell ansetzt. Die Vergewaltigung ist nur das Nachspiel.
    »Wie du hörst, hatte sie anfangs große Angst, versprach aber, eine detaillierte Aussage zu machen und diese auch vor Gericht zu beeiden, wenn wir für ihren Schutz sorgen würden. Also brachten wir sie nach Schwanenwerder, wo sie langsam auftaute.«
    »Wer?«, fragte ich mit belegter Stimme.
    »Du willst wissen, wer Sukers Komplize ist?«
    Er verstaute die Kassette wieder in seiner Jackentasche und griff das Lenkrad fest mit beiden Händen.
    »Den Namen hat sie uns nie verraten. Sie stand kurz davor, doch dann kam der Riss. Von einem Tag auf den anderen wurde sie verrückt, schrie nur noch und fing an, ihre Wände vollzukritzeln. Und weißt du, wann dieser Psychoumschwung einsetzte?« Er beschleunigte ohne erkennbaren Grund. »Genau an dem Tag, an dem du nach Schwanenwerder verlegt wurdest.«
    Ich runzelte die Stirn, und Scholle hob beschwichtigend die Hand. »Ja, ich weiß, das ist noch lange kein Beweis, dass es einen Zusammenhang zwischen Suker und deinem Fall gibt. Aber irgendwie ist es schon komisch, oder? Kaum bist du in unserem sicheren Haus, zieht sie ihre Aussage zurück und schottet sich ab.«
    »Wie?«, setzte ich die Reihe meiner Einwortfragen fort, dankbar, dass Scholle mich trotzdem verstand.
    »Wie sie von dir erfahren haben soll? Keine Ahnung, ehrlich. Roth ist integer, er wird ihr nichts von deiner Einlieferung erzählt haben. Das Personal wird strenger gecheckt als die Mitarbeiter vom Secret Service, ich kann für jeden vor Ort die Hand ins Feuer legen. Da gibt es keinen Maulwurf. Aber wie gesagt, es ist schon sehr merkwürdig. Ebenso merkwürdig wie die Sache mit Suker, der auch über geheime Informationsquellen im Knast zu verfügen

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