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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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kommen.
    Doch ihr momentaner Aufenthaltsort roch nicht nach Blut und Kadavern, und ihre Stimme erzeugte auch nicht den typischen Widerhall, der gekachelten Räumen eigen ist. Trotzdem war sie sich mit einem Mal aus unerfindlichen Gründen sicher, dass sie sich in einem Schlachthaus befand.
    In Sukers Schlachthaus, eingerichtet nach seinem perversen Geschmack.
    »Was haben Sie mit mir vor?«
    »Wonach fühlt es sich denn an?«, beantwortete Suker ihre Frage und strich ihr mit der Hand über den flachen Bauch.
    Hätte er sie mit einem Elektroschocker berührt, wäre ihre Reaktion nicht weniger heftig ausgefallen. Sie zuckte zusammen, drückte den Oberkörper durch und verkrampfte danach auf der harten Liege, die nur mit einer dünnen Matratze gepolstert war.
    »Schhh, … entspannen Sie sich.«
    Alina keuchte heftig, spürte seine weichen Finger um ihren Bauchnabel kreisen, und erst in dieser Sekunde wurde ihr bewusst …
    … ich bin nackt!
    Es war der Moment, in dem sie die völlige Aussichtslosigkeit ihrer Lage begriff. Die Chance, diese Sache hier einigermaßen schmerzfrei und womöglich lebend durchzustehen, war auf ein Minimum gesunken. Sie zwang sich, nicht zu weinen, zumindest nicht jetzt, zu diesem Zeitpunkt, wobei sie selbst nicht wusste, was für einen Unterschied es machen sollte, ob sie sich jetzt oder erst später unter Schmerzen die Augen ausheulte. Ihre Verzweiflung, ihre im wahrsten Sinne des Wortes nackte Angst …
kann unmöglich noch größer werden,
dachte sie noch, um im gleichen Atemzug ihren Irrtum zu erkennen.
    Doch, sie kann. Die Angst kann immer noch wachsen. Sie ist wie der Schmerz. Es gibt keine Grenze,
dachte sie, als Suker so dicht an sie herantrat, dass sie seine Körperwärme spüren konnte, und das war schlimmer als alles, was sie bisher gefühlt hatte. Denn sie war nicht die Einzige, die nackt war. Auch Suker hatte sich entblößt.

29. Kapitel
    Alexander Zorbach
    I ch presste mein Gesicht gegen das Fenster der Beifahrerseite und genoss die Kälte der Scheibe. Sie klärte meine Sinne und kühlte meinen fiebrigen Kopf, und am liebsten hätte ich das Fenster heruntergelassen, wenn ich denn fähig gewesen wäre, den verdammten Druckknopf zu finden. Schon nach wenigen Minuten passierten wir das Strandbad Wannsee, und ich schloss die Augen. Die Kugel in meinem Kopf hatte vieles verändert, nicht jedoch meine Sicht auf die Stadt, in der ich lebte. Die meisten Berliner erinnern sich beim Anblick des Strandbads an vergangene Sommertage, laute Musik, lachende Kinder, überfüllte Mülleimer oder den Geruch von Sonnencreme.
    Ich hingegen sah den Parkplatz vor dem Eingang und erinnerte mich an den Tag vor neun Jahren, als wir hier hinter den öffentlichen Toiletten eine Kinderleiche in einem Umzugskarton gefunden hatten. Damals arbeitete ich noch für die Polizei und begleitete nur zufällig einen Kollegen, der während eines gemeinsamen Kinobesuchs angepiepst worden war. Der Mörder hatte das Opfer gemeinsam mit seinem Sperrmüll entsorgt. Wir fanden den braunen Pappkarton neben einem ausrangierten Fernseher und zwei Abfallsäcken, über deren Inhalt wir schließlich den Täter identifizieren konnten: einen vierundvierzigjährigen Musikschullehrer, der seine beste Schülerin nach dem Geigenunterricht abgefangen und in eine Laube am Rande Berlins verschleppt hatte. Bevor er das siebenjährige Mädchen vergewaltigte, hatte er sie mit einer Technik gefesselt, die sich »chinesische Schaukel« nennt und bei der sich das Opfer immer stärker selbst drosselt, je heftiger es sich zu befreien versucht.
    Als ich in jener klaren Nacht in den geöffneten Karton starrte, gelangte ich zu einer Erkenntnis, so stark und unumstößlich wie ein Naturgesetz: Sollte irgendjemand
meinem
Kind so etwas antun, würde ich ihn nicht anzeigen. Ich würde nicht zur Polizei gehen, um den Täter verhaften zu lassen. Ich würde meine Zeit nicht damit verschwenden, auf einen Gerichtsprozess zu warten, in dem es dem Staatsanwalt misslingen würde, den Tötungsvorsatz nachzuweisen, und die Richter nur auf ein Strafmaß von dreieinhalb Jahren wegen fahrlässiger Tötung erkannten, weil sie – im Zweifel für den Angeklagten – davon ausgingen, dass der Vergewaltiger nur aus Versehen die Fesseln zu eng angelegt hatte.
    Stattdessen würde ich in den Keller meines Hauses gehen und die Oberlichter mit blickdichter Folie abkleben. Ich würde den Raum mit den Schallschutzmatten aus dem Baumarkt abdichten und mir eine

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