Der Augenjäger / Psychothriller
Metallfräse, einen Akkuschrauber, mehrere Flaschen Natronlauge, meinen Wasserkocher und einen gut gefüllten Presslufttacker zurechtlegen.
Der Erste-Hilfe-Koffer stünde griffbereit neben dem Metallbett, ebenso würde ich sichergehen, dass der Defibrillator aufgeladen ist, damit ich das Schwein wieder zurückholen kann, wenn er mir zu früh wegbleibt. Dann würde ich den Täter suchen, ich würde ihn finden und in meinen Keller bringen, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Natürlich wusste ich, dass meine Einstellung sämtlichen Rechtsstaatsprinzipien widersprach. Und auch wenn ich selbst heute noch, nachdem der Augensammler meine Frau ermordet, mein Kind entführt und mich mit einer Schusswunde im Kopf zurückgelassen hatte, die Gutmenschen verstehen konnte, die mit kopfgesteuerten, theoretischen Argumenten gegen die Todesstrafe wetterten, lebte ich nun, da mein Sohn vermutlich längst verrottete, in einer anderen Welt. In dieser gab es nur noch eine Regel, an die ich mich zu halten hatte: Ich musste so lange überleben, bis ich Frank gefunden und getötet hatte.
Meine radikalen Ansichten unterschieden sich vermutlich nicht groß von denen Scholles, der sich ebenfalls über Recht und Ordnung hinwegsetzte, wenn er das Gefühl hatte,
das Richtige
zu tun.
Ich konnte mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass Dr. Roth damit einverstanden war, dass Scholle mich vor einer halben Stunde, ohne seine Erlaubnis einzuholen, einfach von Schwanenwerder weggebracht hatte. Auch wenn es mir im Augenblick besser ging und ich bis auf einen dumpfen Druck hinter den Augen kaum Schmerzen fühlte, war ich in meinem Zustand sicher nicht transportfähig, noch dazu ohne Rollstuhl. Den hatte Scholle auf dem Parkplatz stehen lassen, nach zwei vergeblichen Anläufen, ihn in den Kofferraum zu wuchten. Zudem musste ich in spätestens vier Stunden meine Medikamente bekommen, was Scholle aber nicht davon abgehalten hatte, meine Entlassungspapiere zu unterzeichnen und mich aus dem Krankenhaus zu schieben. Ich hatte ihm nämlich eröffnet, das Bild zu kennen, das Tamara Schlier in mehrfacher Ausfertigung an ihre Zimmerwand kritzelte. Das war Grund genug.
»Du fragst dich sicher, warum ich das hier tue?«, fragte Scholle und warf mir einen prüfenden Blick zu, bevor er wieder auf die menschenleere Straße achtete.
Soweit ich mich erinnern konnte, waren es die ersten Worte, die er an mich richtete, seit er mich auf den Beifahrersitz gehievt und angeschnallt hatte. Möglich war aber auch, dass ich mich irrte und wir schon eine Zeitlang über den Weltfrieden oder das Wetter diskutierten. Auch wenn es mir besser ging, seit ich meinen Kopf gegen die Scheibe drückte, fiel es mir schwer, mich zu konzentrieren. Vielleicht konnte ich mir viele Einzelheiten gerade deshalb nicht merken,
weil
es mir auf einmal besserging. Der Schmerz in meinem Kopf wich nach und nach einer bleiernen Müdigkeit, die anders war als die medikamentös erzeugte Schwere der letzten Wochen. Intensiver und weniger oberflächlich.
»Schön, ich will dir eins sagen, auch wenn ich mir nicht sicher bin, was da oben bei dir ankommt.« Scholle lachte kurz auf. »Vielleicht sage ich es dir auch nur deshalb,
weil
du dich momentan in diesem Ballaballa-Zustand befindest und ich hinterher, wenn du wieder zurechnungsfähig bist, alles abstreiten kann.« Scholle machte eine Pause und setzte den Blinker.
»Ich will mich entschuldigen«, murmelte er.
Wie bitte?
Mir gelang es, den Kopf zu ihm zu drehen, ohne zur Seite zu kippen.
Du lauerst mir im Dunkeln auf dem Flur auf, zeigst mir die grauenhafte Fratze eines Folteropfers, zerrst mich aus dem Krankenhaus in die Kälte und nennst das eine Entschuldigung?
»Ich hab überreagiert damals, beim Augensammler«, sagte er. »Ich dachte wirklich, du bist es. Oder steckst zumindest mit ihm unter einer Decke. Und als uns die Zeit weglief, hab ich dich etwas zu grob angefasst, ich weiß. Aber du warst selbst mal Polizist, Zorbach. Du weißt, wie die Dinge laufen. Manchmal muss man etwas tun, was später nicht im Protokoll auftauchen darf, wenn man den Abschaum erwischen will. Das ist wie in Afghanistan, Mann. Kollateralschäden. Und wenn wir gegen diese Irren da draußen kämpfen, die unsere Kinder verschleppen und töten, befinden wir uns im Krieg, oder? Da sind zivile Opfer manchmal unvermeidlich, wenn wir den Frieden sichern wollen.«
Hätte ich die Kraft gehabt, hätte ich erwidert, dass es eine feine, aber entscheidende Linie gab, die
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