Der Augenjäger / Psychothriller
scheint. Obwohl er weder Fernsehen noch Zeitungen oder Internet hatte und auf der Isolierstation lag, wusste er bestens über deinen Fall Bescheid, als Alina ihn besuchte.«
Mir gelang es, vorsichtig zu nicken, ohne dass mir wieder übel wurde. Langsam verstand ich Scholles Indizienkette.
Tamara hat Angst vor Sukers Helfer. Vor seinem Assistenten. Ihre Angst wächst mit meiner Einlieferung. Suker kennt alle Fakten über mich, Alina und Julian. Und Alina hatte die Verbindung zwischen Julian und Suker in ihrer Vision »gesehen«.
Trotzdem erschien es mir in diesem Augenblick zu weit hergeholt, aus diesem Mischmasch aus Indizien, Zufällen, esoterischen Spinnereien und Mutmaßungen den Verdacht abzuleiten, Frank Lahmann könnte die Person sein, vor der Tamara solche Angst hatte.
Das passt nicht zusammen. Schön, Frank hat seinen Opfern das linke Auge entfernt, mit einer Fingerfertigkeit, die er irgendwo gelernt haben muss. Aber er war jahrelang Praktikant bei einem Tierarzt. Nicht bei Suker … Oder doch?
»Wenn ich mich in deinem glasigen Blick nicht täusche, bist du immer noch skeptisch«, sagte Scholle. Beim Aufsehen bemerkte ich, dass wir die Gegend erreicht hatten, die ich Scholle als Fahrziel genannt hatte.
»Kann ich gut verstehen, Zorbach. Aber ich hab dir doch gesagt, ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Wusstest du, dass Frank Kontaktlinsen trägt?«
»Und?«
»Und dreimal darfst du raten, wer sie ihm vor Jahren das erste Mal verschrieben hat«, sagte Scholle und bog in unsere Straße. Mir wurde kalt.
Er hielt vor dem Haus, das einst mein Zuhause gewesen war und das jetzt leer und dunkel wie ein Grabstein aus dem Friedhof meiner Träume ragte. Wenn man von den perspektivischen Fehlern und dem einen Stockwerk zu viel absah, hatte Tamara Schlier unser Haus am Rudower Dörferblick einigermaßen gut getroffen. Selbst der Geräteschuppen neben dem Rasen, auf dem ich meine ermordete Frau gefunden hatte, stand auf ihrer Zeichnung an der richtigen Stelle.
»Ich glaub’s ja nicht«, sagte Scholle und aktivierte das Fernlicht, um das verlassene Haus besser anzuleuchten. Er pfiff anerkennend durch die Zähne.
»Kannst du mir bitte sagen, weshalb Tamara euer Haus auf ihre Zimmerwände malt?«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, konnte ich nicht. Ich hatte auch keine Ahnung, weshalb exakt das gleiche Bild seit Jahren über dem Bett meines Sohnes hing. Ebenso wenig, wie ich mir erklären konnte, weshalb in Julians Schlafzimmer das Fenster offen stand.
31. Kapitel
Alina Gregoriev
S eitdem Zarin Suker zu ihr auf die Liege gestiegen und seine Knie in ihre Armbeugen gepresst hatte, um sie vollends bewegungsunfähig zu machen, versuchte Alina sich zu entspannen; vor allem, um die zu erwartenden Schmerzen nicht noch schlimmer werden zu lassen. Zwar hatte sie einmal gelesen, dass fehlender Widerstand von den Anwälten der Verteidigung als Einwilligung in den Geschlechtsverkehr ausgelegt werden könnte und damit die Anklage wegen Vergewaltigung hinfällig wäre. Aber das war ihr vollkommen gleichgültig, zumal sie, seitdem sie Sukers Geschlechtsteile auf ihrem Bauch spürte, nicht mehr davon ausging, jemals in ihrem Leben wieder eine Aussage machen zu können.
»Warum tun Sie das?«, fragte sie. »Wieso ich?«
Es war eine von Dutzenden Fragen, mit denen sie es bislang geschafft hatte, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Wann immer Suker redete, hörte er auf, sie zu betatschen.
»Das habe ich Ihnen doch schon auf der Damentoilette gesagt, als ich Sie abholte, meine Liebe. Ich will zu Ende bringen, was ich begonnen habe.«
Er legte ihr die Hand auf die rechte Brust.
»Aber das passt gar nicht zu Ihnen!«
»Nein?« Er lachte schallend auf. »Sie selbst haben mir bei unserem ersten Treffen doch eröffnet, was für ein skrupelloser Vergewaltiger ich sei.«
»Das meine ich nicht.« Alina stöhnte auf, als er den Piercingstift in ihrer Brustwarze verdrehte. »Es passt nicht, dass Sie von Ihrer Methode abweichen.«
»So, was ist denn
meine Methode?
« Belustigt betonte er die letzten beiden Worte.
»Es beginnt …« Alina unterdrückte einen Schrei, als seine Hand zwischen ihre Beine glitt. »Ich meine, so fängt es nicht an.«
»Sie sind ein kluges Kind, Alina.« Er zog die Hand zurück. »Und Sie haben recht.«
»Womit?«
»Ich werde Sie nicht vergewaltigen.«
Erleichtert spürte Alina, wie das Gewicht auf ihrem Oberkörper von einem Moment auf den anderen verschwand. Auch die Geräusche ließen keinen
Weitere Kostenlose Bücher