Der Augenjäger / Psychothriller
Sie irren sich schon wieder.«
Roth sah mich entgeistert an. »Was zum Teufel machen Sie da? Setzen Sie sich wieder in Ihren Rollstuhl!«
»Nein.« Ich bewegte mich einen Schritt auf ihn zu, um ihm zu beweisen, dass ich mich nicht länger von ihm oder irgendjemand anderem hier herumkommandieren lassen würde.
»Wie Sie schon sagten, Doc. Das hier ist kein Krankenhaus, und ich bin nicht länger Ihr Patient. Es ging mir, nebenbei bemerkt, schon lange nicht mehr so gut.«
Roth schüttelte entsetzt den Kopf. »Machen Sie keinen Quatsch. Ihre körperlichen Verletzungen waren nie die Ursache für Ihren labilen Zustand. Ich wusste, es bedurfte nur eines ausreichend starken Impulses, um Ihre Selbstheilungskräfte wieder zu aktivieren, daher wollte ich ja unbedingt, dass Frau Gregoriev Sie besucht. Dennoch hat Ihre momentane Blitzverwandlung nichts mit einer gesunden Regeneration zu tun. Im Gegenteil, Sie befinden sich in einer paradoxen Phase. Davon haben Sie doch sicher schon mal gehört. Menschen, todkranke Menschen, die sich besser fühlen, kurz bevor der Krankheitsverlauf wieder schlimmer wird. Ihr Körper bäumt sich gerade mit den letzten Reserven auf. Wenn Sie ihm jetzt nicht Ruhe gönnen, kann es sein, dass Sie sich nie wieder davon erholen.«
Ich werde mich ohnehin nie wieder davon erholen, Doc. Ganz gleich, was ich als Nächstes tun werde.
»Danke sehr. Ich weiß Ihre Fürsorge wirklich zu schätzen. Aber glauben Sie ernsthaft, ich bleibe hier seelenruhig liegen, während da draußen zwei Bestien rumlaufen, von denen die eine meinen Sohn getötet und die andere meine Freundin verschleppt hat?«
Zwei Bestien, die irgendwie miteinander in Verbindung stehen, ohne dass ich sagen könnte, in welcher.
»Gegen mich liegt weder ein Haftbefehl vor, noch gibt es sonst eine Handhabe, die es Ihnen erlaubt, mich länger einzusperren.«
»Wer redet denn von einsperren? Sie sind …«
»… ein freier Mann, genau. Und als solcher werde ich mich jetzt dankend verabschieden. Wenn es irgendwelche Entlassungspapiere gibt, die ich unterschreiben muss, dann her damit. Aber ich vergeude keine weitere Sekunde bei Ihnen.«
Hinter mir öffnete sich die Tür, aber Roth gab der Schwester ein Handzeichen, besser wieder zu verschwinden.
»Okay, lassen Sie uns einen Deal machen«, sagte er, als wir wieder alleine waren.
»Einen Deal?«
»Bleiben Sie noch eine Nacht. Morgen machen wir ein CT , und dann, nachdem ich Sie medikamentös neu eingestellt habe, dürfen Sie mit einer Liste von Ärzten, die Sie im Notfall kontaktieren können, Schwanenwerder gleich nach dem Frühstück verlassen – mit meinem Segen, aber auf eigene Gefahr.«
»Morgen früh ist Frank wieder über alle Berge, und Alina könnte bereits tot sein.«
»So wie Sie, wenn Sie nicht Vernunft annehmen.«
Für eine Weile war nichts weiter als das leise Ticken einer Wanduhr zu hören, deren Zeiger sich mit schnappenden Bewegungen vorwärtsfraß.
»Okay«, willigte ich in den Vorschlag ein. »Ich bleibe, unter einer Bedingung.«
Roth verschränkte abwehrend die Hände vor seiner Brust. »Und die wäre?«
»Bringen Sie mich zu Tamara Schlier. Ich muss mit ihr reden.«
44. Kapitel
Alina Gregoriev
S ie krallte sich fest. Wehrte sich mit aller Kraft, doch am Ende war die verzweifelte Mühe vergeblich. Der Schlaf riss sich wütend von ihr los, zusammen mit den diffusen Bildern eines Alptraums, die sich ebenso schnell verflüchtigten, wie Alina erwachte.
Im ersten Moment war sie orientierungslos; wusste nicht, wohin es sie verschlagen hatte und weshalb ihr Körper sich wie ein einziger Muskelkater anfühlte. Dann erinnerte sie sich an den Einstich im rechten Arm; an die Spritze, die Suker ihr verabreicht hatte, als sie vorhin mit dem Schreien nicht hatte aufhören wollen. Nicht hatte aufhören
können!
Hilflos mit anhören zu müssen, wie auf dem Operationstisch neben ihr ein junges Mädchen ihr Augenlicht verlor, nur weil Suker diese sinnlose Transplantation vorbereitete, hatte Alina nicht ertragen können. Eine Zeitlang hatte sie zu einem namenlosen Gott gebetet, er möge ein Sondereinsatzkommando die Tür eintreten und die Planen des Operationszeltes herunterreißen lassen. Sie hatte auf Zorbach gehofft –
Scheiße, Zorbach, wenn du wüsstest, wie ich dich vermisse –,
dem es trotz seiner Verletzungen irgendwie gelungen wäre, ihre Folterkammer ausfindig zu machen und den Chirurgen in letzter Sekunde zu erschießen, bevor sich dessen Skalpell in Nicolas
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