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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Kleine mag keine Spritzen.« Suker stand nun einige Schritte von ihr entfernt und sprach zu Nicola. »Aber da führt leider kein Weg daran vorbei, meine Hübsche. Ich hab dir doch gesagt, deine Augen sind etwas Besonderes.«
    »Nicht, bitte nicht. Ich flehe Sie an.«
    Der Augenarzt seufzte glückerfüllt.
    »Sie müssen nämlich wissen, Alina, dass Nicolas Augen eine ganz ungewöhnliche Pigmentstörung aufweisen. Sie sind bicolor, also zweifarbig. Wenn Sie sich die Iris wie einen Tortenkranz vorstellen, dann ist ein kleines, dreieckiges Stück davon blau eingefärbt. Der Rest ist braun, ist das nicht unvorstellbar herrlich?«
    Das Geräusch klappernden Bestecks füllte den planenverhangenen Raum.
    »Oh, tut mir leid. Farben sagen Ihnen ja nichts, Alina. Na ja, aber daran arbeiten wir, nicht wahr?«
    Er lachte selbstzufrieden, während Nicola für Alina völlig unerwartet dazu übergegangen war, leise murmelnd ein Gebet aufzusagen:
    »Ich stehe hier in der Fremde, ich stehe hier in den Nöten, ich stehe hier in den Schmerzen, ich stehe hier in der Gefahr, und – ich stehe hier allein …«
    Ihr Selbstgespräch war so leise, dass Suker mühelos darüber hinwegreden konnte. »Erinnern Sie sich daran, was ich Ihnen im Gefängnis gesagt habe? Dass nur die Anomalien der Natur die wahre Schönheit verkörpern?«
    »… Gott, guter Vater, Du bist heute der, der Du gestern warst und morgen sein wirst …«
    Suker wandte sich von Alina ab und sprach wieder zu Nicola. »So, und jetzt ist der Tag gekommen, an dem du deine besondere Schönheit mit einer ganz besonderen Person teilen wirst, Nicola.«
    Das Mädchen schien den Wahnsinnigen, der seine Instrumente sortierte, nicht zu hören, war nur mit sich selbst im Zwiegespräch gefangen. Ihre Stimme wurde mit jedem Wort leiser und schläfriger, bis sie den letzten Satz schließlich unvollendet lassen musste: »… Du Gott, guter Vater, steh bei mir und …«
    »Und da dämmert sie weg«, sagte Suker zufrieden.
    »Tun Sie das nicht, Suker. Bitte.«
    Alina hatte jeglichen Selbstrespekt verloren und flehte jetzt genauso bitterlich wie Nicola zuvor. »Um Himmels willen, hören Sie auf. Das Mädchen ist erst sechzehn!«
    »Oh, machen Sie sich da mal keine Sorgen, das Alter des Spenders ist völlig egal. Aber um sicherzugehen, werde ich zunächst einmal nur eine einzige Stammzellentransplantation auf dem linken Auge vornehmen, um zu sehen, wie das Spenderorgan von Ihnen akzeptiert wird.«
    Alina hörte wieder das Klappern von Besteck auf einer metallischen Unterlage. Dann begann Suker leise und konzentriert zu summen, ein Mann, der sich mit freudiger Erregung an eine lang ersehnte Arbeit macht.

43. Kapitel
    Alexander Zorbach
    D ie Patrone in meiner Hand fühlte sich warm an, sicher deswegen, weil Dr. Roth sie schon eine geraume Weile in den Fingern gedreht hatte, bevor er sie mir in die Hand legte.
    »Nur zur Erinnerung«, sagte er, wobei er sich keine Mühe gab, seine Wut zu unterdrücken. »So ein Ding da haben Sie sich vor zwei Monaten durch den Kopf gefeuert. Und auch wenn Sie heute mal wieder Ihren Dickschädel unter Beweis gestellt haben, ist dieser dennoch nicht so hart, als dass er das 9-Millimeter-Geschoss hätte aufhalten können.«
    Er stand direkt vor mir und sah auf mich in meinem Rollstuhl herab. Seine Unterlippe bebte, was mich aus irgendeinem Grund peinlich berührte. Vermutlich, weil ich spürte, wie schwer es dem ansonsten so gutmütigen Arzt fiel, mit mir ins Gericht zu gehen.
    »Es zerschmetterte Ihre Knochen, Ihr Gehirn und lebenswichtige Gefäße.«
    Wir kannten uns schon lange. Roth hatte mich bereits vor meinem missglückten Selbstmordversuch wegen psychischer Probleme behandelt, die der Polizeiberuf fast unweigerlich mit sich bringt. Ich drehte den Kopf zur Seite, in der festen Erwartung, dass meine gewohnten Schmerzen wieder auflodern würden, doch die waren seit der tödlichen Auseinandersetzung in meinem Haus wie weggeblasen. Das Einzige, was ich spürte, war ein dumpfer Druck unter dem neuen Verband, der mir angelegt worden war, als der Krankenwagen mich nach Schwanenwerder zurückgebracht hatte.
    »Verdammt, Zorbach. Was ist nur los mit Ihnen? Hauen hier ab in einer Nacht-und-Nebel-Aktion.«
    Mein Blick wanderte über eine kahle Wand, frei von den sonst obligatorischen Urkunden und Auszeichnungen, mit denen Ärzte so gerne ihre Praxis schmücken. Auch das Fehlen jeglicher Kunst verdeutlichte den provisorischen Charakter dieser Einrichtung.

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