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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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langsamer und vorsichtiger, um keine weiteren Verletzungen zu provozieren, tastete sie nun Stück für Stück den Tisch ab, so dass es eine Zeitlang dauerte, bis sie zuerst die Plastikschüssel und danach den Bindfaden berührte.
    Eine Schnur, perfekt.
Ihr Hochgefühl wuchs weiter.
Vermutlich eine Naht für einen Verband.
    Wenn er lang genug war, konnte sie ihn um Sukers Hals ziehen, während sie ihm das Messer ins Auge rammte.
    In der Euphorie entging ihr zunächst die seltsame Konsistenz dieses Fadens, der einerseits feucht und andererseits elastisch zu sein schien. Dann aber merkte sie, dass an der Schnur ein Gewicht hing, wenn auch ein sehr filigranes.
    Was zum Teufel ist das?
    Sie zog so lange an dem Faden, bis er sich vollständig aus der Schüssel gelöst hatte und sein Ende in ihren Fingern lag.
    Wenig später musste sie sich übergeben. Ihr war klargeworden, worum es sich bei dem Objekt am Ende des Fadenstrangs handelte. Es fühlte sich wie eine geschälte Weintraube an, die etwa die Größe eines menschlichen Auges besaß.

45. Kapitel
    Alexander Zorbach
    A ls Julian zur Welt kam, legte ihn mir die Hebamme im Kreißsaal mit den Worten in den Arm: »Es heißt, so wie man kurz nach der Entbindung ausschaut, wird man auch zum Zeitpunkt seines Todes aussehen.«
    Und tatsächlich hatten mich Julians zahnloser Mund, seine dünnen Knochen, der faltige Hals und die lichten, wirr vom Nacken abstehenden Haare an meinen Vater im Krankenhaus erinnert, kurz bevor er beschloss, das Atmen einzustellen.
    Der Gedanke, im Augenblick der Geburt bereits den Tod im Spiegel zu sehen, hatte mich seither nie wieder losgelassen, auch wenn ich die tiefere Bedeutung, die ich in ihm vermutete, nicht in Worte fassen konnte.
    Auch heute, als ich in einem abgedunkelten Zimmer auf einem Holzstuhl saß und darauf wartete, dass Tamara Schlier endlich Notiz von mir nahm, musste ich an die Worte der Hebamme denken. Wenn sie mit ihrer These recht hatte und sterbende Menschen wieder die Züge eines Säuglings annehmen, dann musste Tamara mit weit aufgerissenen, blutgeränderten Augen und einer von Neurodermitis überzogenen Gesichtshaut geboren worden sein.
    »Nur fünf Minuten«, hatte Roth mir nach anfänglichen Protesten zugestanden. »Und auch nur, wenn Sie einen OP -Overall tragen, damit meine Patientin nicht noch mehr Staub-Partikeln ausgesetzt ist als ohnehin schon.«
    Seit ich in diesem Aufzug ihr Krankenzimmer betreten hatte, war Tamaras Körperhaltung unverändert. Ich hatte damit gerechnet, dass sie wegen meines unangekündigten Besuchs mit einer Angstattacke reagieren würde. Aber vermutlich hielt sie mich in meinem Aufzug für einen Arzt.Sukers Opfer saß friedlich, beide Hände vor der Brust verschränkt, in sich versunken auf ihrem Bett. Das Laken war abgezogen und lag zusammengeknüllt auf dem Boden unter ihren nackten Füßen. Die dürren Schultern stachen wie Eiszapfen unter dem Krankenhausnachthemd hervor. Bei einem anderen Menschen wären mir sicher zuerst die ungewaschenen, strähnigen Haare aufgefallen, deren Farbe sich in dem blauen Zwielicht der Nachtbeleuchtung nicht genau identifizieren ließ; oder vielleicht ihr gekrümmter Rundrücken, bei dem ich unweigerlich an meine Oma denken musste: Immer hatte sie mir mit einem »Kind, sitz doch gerade« einen Klaps verpasst, wenn sie mich irgendwo rumlümmeln sah. Doch selbst wenn Tamara zwei Nasen und drei Ohren gehabt hätte – von dem grausigen Blickfang in ihrem Gesicht hätte es nicht ablenken können.
    »Es tut mir sehr leid, was Ihnen passiert ist«, sagte ich. Es gelang mir nicht, meinen Blick von den beiden Wunden unter ihrer Taucherbrille zu lösen. Ohne Lider sah es so aus, als drohten ihre angeschwollenen Augen aus den Höhlen zu quellen. Obwohl Tamara in meine Richtung glotzte, war ich mir nicht sicher, ob ihr meine Gegenwart überhaupt bewusst war.
    »Wussten Sie, dass Zarin Suker wieder auf freiem Fuß ist?«
    Ich beobachtete, ob die Erwähnung des Namens bei ihr eine Regung hervorrief, konnte aber keine feststellen. Dabei wurde mir bewusst, dass Tamara einmal sehr attraktiv gewesen sein musste. Symmetrische Gesichtszüge, die Nase weder zu groß noch zu klein, volle, sanft geschwungene Lippen ohne künstliche Nachhilfe. Ein dichter Haaransatz, eine hohe Stirn und gerade, ebenmäßige Zähne. Die Anlagen ihrer Schönheit waren noch erkennbar, was die Verstümmelung noch abstoßender hervortreten ließ.
    »Suker hat, so wie es aussieht, eine sehr gute Freundin

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