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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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unsagbar schwere, bleierne Müdigkeit, die ihn so plötzlich überfallen hatte wie die Dunkelheit, in der er aufgewacht war. Angst, Hunger, Durst, Stress, Erschöpfung - all das hätte er vielleicht noch eine halbe Stunde länger ausgehalten, wenn da nicht etwas gefehlt hätte, was er jetzt fast noch mehr brauchte als die wiedergewonnene Atemluft. Und das war: Hoffnung.
    Er konnte sich nicht vorstellen, hier jemals wieder herauszukommen. Nicht aus eigener Kraft. Die fehlte ihm schon jetzt, wo er doch nur versuchte, sich ein letztes Mal aufzurichten. Irgendwo hatte er mal gehört, dass Unfallopfer nicht einschlafen durften. Dass sie wach bleiben müssten, um nicht zu sterben.
    Also muss ich aufstehen. Ich habe noch nie im Stehen gepennt. Nur im Liegen. Ich darf nicht... »Scheiße!«
    Tobias' Herz hämmerte unter seinem durchgeschwitzten T-Shirt.
    Was war das?
    Er taumelte einen Schritt rückwärts und spürte es noch einmal an seiner Schulter.
    Das gibt's doch nicht. Wo kommt das auf einmal her? Vorhin musste er im Dunkeln an dem Seil vorbeigelaufen sein.
    Ein Tau? Warum hängt in diesem Stahlzimmer ein Tau von der Decke?
    Er griff nach oben, schloss vorsichtig die Finger darum und ließ sie abwärts gleiten, bis der Plastikgriff am Ende des verschlungenen Kunststoffseils in seiner Hand lag. Und jetzt?
    Tobias zögerte. Nur kurz, dann tat er das, was jeder Mensch tun würde, dem sich eine Hand in der Dunkelheit reicht. Er zog daran. O nein, bitte nein ...
    Tobias ließ das Seil schnell wieder los, aber es war bereits zu spät.
    Das wollte ich nicht... bitte, nein ...
    Der Boden unter seinen Füßen hatte wieder zu schwanken begonnen. Nur diesmal stärker als je zuvor.

20. Kapitel
    (Noch 49 Minuten bis zum Ablauf des Ultimatums)
Alexander Zorbach (Ich)
    Weiße, staubverschmierte Fliesen, stumpf polierte Aluminiumtische, Dunstabzugshauben über den Werkbänken - im ersten Moment befürchtete ich, in der Pathologie des Sanatoriums gelandet zu sein. Dann sah ich die Geschirrschränke und das dreckige Tellerfließband in der Mitte des Raumes und begann zu ahnen, wo ich war. Da Scholle die Neonleuchten über unseren Köpfen nicht anschalten wollte, waren die wenigen matten Strahlen einer Parklaterne, die durch die Souterrainfenster fielen, unsere einzige Lichtquelle. Das Zwielicht ließ mich nur Schatten und Konturen erkennen. Ich hatte das Gefühl, in einem Schwarzweißfoto zu stehen. »Das war mal die Heimküche«, sagte Scholle und deutete auf drei große Kessel, die schräg rechts von ihm standen und die ich eher in einer Brauerei erwartet hätte. »Heute kochen die ihr Süppchen in dem neuen Anbau. Der gesamte Kellertrakt ist verwaist, was bedeutet, dass wir hier völlig ungestört sind.«
    Ein Putzkrümel zerknirschte unter seinen Ledersohlen, als er zu einer quaderförmigen Arbeitsbatterie ging, die das rechte Drittel der stillgelegten Küche dominierte. Sie war etwa so groß wie ein Kompaktwagen, ausgestattet mit vier Kochfeldern, zwei Spülen und einer braungefliesten Arbeitsfläche, übersät mit dem obligatorischen Müll, der sich in jedem verwaisten Kellerraum ansammelt: eine kaputte Verteilersteckdose, abgerissene Stromkabel, dreckiges Pappgeschirr, zu Aschenbechern umfunktionierte Plastikbecher und eine halbvolle Colaflasche. Scholle fegte den gesamten Krempel mit dem Ellbogen zu Boden. »Weiß Stoya, dass wir hier sind?«, fragte ich. Er lachte. »Na klar weiß er das. Offiziell wird er es aber niemals zugeben. Die feige Ratte will sich mit einer illegalen Festnahme ja nicht seine Karriere verbauen. Im Gegensatz zu mir glaubt Stoya nicht, dass du es warst. Er hat noch nicht einmal den Staatsanwalt angerufen, die Pfeife.« Illegale Festnahme? »Ihr habt keinen Haftbefehl?«
    »Was glaubst du denn, weshalb Pat & Patachon da draußen vor der Tür stehen und keine Profis? Die beiden schulden mir noch einen Gefallen.«
    Scholle zog einen Stadtplan aus seiner Jackentasche und breitete ihn über den Cerankochfeldern aus, die er eben freigelegt hatte.
    »Stoya wollte sich nur mit dir unterhalten. Von Bulle zu Exbulle. Wollte dir eine letzte Chance geben, zu erklären, wieso du heute bereits an zwei Tatorten aufgekreuzt bist und so viele Details von dem Fall kennst. Zum Glück konnte ich ihn davon überzeugen, dass ich der bessere Mann bin, wenn es darum geht, diese Antworten etwas schneller von dir zu bekommen.«
    Na klar. Vermutlich hatte Stoya ihm offiziell vor Zeugen gesagt, er solle mich zu einem

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