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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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ich hatte sie schon an ihren abgewetzten Cowboystiefeln erkannt, bevor sie Scholle ins Gesicht spuckte. »Rühr mich nicht an, du Wichser.«
    Der Ermittler bedankte sich grinsend bei dem Polizisten und bat ihn, den Raum wieder zu verlassen. Er wartete, bis die Tür ins Schloss gefallen war, dann packte er Alina am Arm, entwand ihr den Gehstock und stieß sie grob in meine Richtung.
    »Na sieh mal einer an, das Phantom gibt es also doch!« Phantom?
    Ich stützte mich auf. Zu gerne hätte ich mir den Hals massiert, aber meine Hände waren ja hinter dem Rücken gefesselt.
    Was zum Teufel meint er damit?, dachte ich und wunderte mich im nächsten Moment, dass Scholle mir meine Frage beantwortete. Offenbar hatte ich sie laut ausgesprochen. »Alina ist nicht ihr richtiger Name. Ja, da glotzt du, was, Zorbach? Und deine blinde Freundin hier hat auch nie eine Aussage bei uns gemacht.« Falscher Name? Kein Protokoll?
    Der dröhnende Schmerz in meinem Kopf ließ nur langsam nach, und so dauerte es, bis sich die Fragen in mein Bewusstsein vorgearbeitet hatten. »Stimmt das?«, krächzte ich.
    In dem grellen Licht wirkte Alina wie eine lebendige Leiche. Ihre Haut war blass, die vollen Lippen schienen völlig blutleer, und die stumpfen Augen ähnelten denen einer ausrangierten Spielzeugpuppe. »Du warst gar nicht bei der Polizei?« Ich musste an all die Dinge denken, die sie mir bereits bei unserem ersten Zusammentreffen auf dem Hausboot anvertraut hatte. Visionen von der letzten Tat des Augensammlers, von denen sich einige als wahr erwiesen hatten: ... fünfundvierzig Stunden und sieben Minuten, der Bungalow mit dem Basketballkorb neben der Garage. Gemischt mit Erinnerungen, die definitiv falsch waren: ... nur ein Kind. Es wurden nicht zwei entführt... Oder gar keinen Sinn ergaben: . dann lachte die Frau und sagte . Ich spiele gerade Verstecken mit unserem Sohn ... Ich kann ihn nirgends mehr finden ....O Gott... geh auf gar keinen Fall in den Keller.
    »Blödsinn«, fauchte sie. »Selbstverständlich war ich auf dem Scheißrevier. Die haben mich an einen Schwachkopf abgeschoben, der wahrscheinlich seinen Schreibkram nicht richtig erledigt hat.« Sie versuchte weiterhin vergeblich, Scholles Hände von ihrem Oberarm zu streifen. »Und seit wann ist es verboten, unter einem Pseudonym zu arbeiten? Shiatsu ist eine Kunst, und Alina Gregoriev ist mein Künstlername. Himmel, wenn Sie so beschissen recherchieren, ist es kein Wunder, dass Sie den Augensammler nicht fassen.« »Abwarten.«
    Scholle griff nach Alinas Handgelenken und zerrte sie zum Küchenblock, wo er sie an dem mir gegenüberliegenden Ende mit einer Hand an die Spüle fesselte. »Ein kaputter Exbulle und eine esoterische Blindschleiche«, sagte er kopfschüttelnd. »Na, da ist die Trümmertruppe ja endlich vollzählig.«
    »Du machst einen großen Fehler«, sagte ich. Eine Sekunde später konnte ich nicht einmal mehr flüstern. Scholle war wieder an meine Seite der Arbeitsfläche getreten und hatte mir den Fuß mit voller Wucht in den Magen gerammt. Bevor ich wieder Luft holen konnte, lag ich schon quer über der Arbeitsplatte des Küchenblocks. Entsetzt riss ich den Kopf nach hinten und verharrte in dieser Position. Nicht absenken . Brust und Bauch gegen die kalte Keramikfläche gestemmt und das Gesicht - nicht absenken, auf keinen Fall den Kopf senken - direkt über der glühenden Herdplatte!
    Das Letzte, was ich sah, bevor ich zu verbrennen glaubte, war, wie sich Alina mit dem Jackenärmel etwas Schweiß von der Stirn wischte. Sie stand keine zwei Meter von mir entfernt, und dennoch hätte es wegen des Küchenblocks, der uns trennte, keinen Unterschied gemacht, wenn sie in einem völlig anderen Raum gewesen wäre. Sie hätte mir den nicht gefesselten Arm über die Herdplatte hinweg entgegenstrecken können und es nicht einmal geschafft, mich auch nur mit den Fingerspitzen zu berühren. Zudem war Scholle kein Anfänger. Um böse Überraschungen zu vermeiden, hatte er alte Eimer, Spatel, Drahtrollen -einfach alles, was sich aus dem Müll am Boden als Waffe oder Wurfgeschoss gebrauchen ließ - aus unserer Reichweite geschafft.
    Ich bin verloren, dachte ich und fragte mich, wie ich die Hitze im Gesicht nur noch eine Sekunde länger ertragen sollte. Dann wurde es schlimmer.
    »Also, noch mal«, fragte Scholle mit angehaltenem Atem, »wo hast du die Kinder hingebracht?« Der Abstand zwischen Kinn und Herdplatte wurde kleiner. Scholle presste seine Pranke fest auf meinen

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