Der Augensammler
verschwitzten Augen. Erkannte die von Wut getriebene Überzeugung darin und nickte ihm zu.
Sowenig mich mit diesem Menschen sonst verband, so sehr verstand ich, was er mir sagen wollte.
Scholle war ein Getriebener. Jemand, der schon einmal einen Menschen verloren hatte, weil er zu lange gezögert hatte. Dieser Fehler sollte ihm nicht ein zweites Mal unterlaufen.
Nicht mit mir.
Es ruckelte zweimal heftig, dann hatte der Lastenaufzug sein Ziel erreicht. Minus 1.
»Da lang«, befahl er den beiden Polizisten und stieß mich ebenfalls nach links in den mit Energiesparlampen kalt ausgeleuchteten Kellerflur.
»Früher noch hätte ich es genauso gemacht wie du«, sagte ich. »Ich hätte dem Augensammler die Scheiße aus dem Leib geprügelt, damit er mir das Versteck verrät. Aber seitdem ich die Frau auf der Brücke getötet habe, ist alles anders.«
Unser Weg endete nach zwanzig Metern am Kopfende des Ganges vor einer großen Flügeltür aus gebürstetem Edelstahl.
»Ach ja?« Er befahl den Polizisten, vor der Tür zu warten. »Und wieso?«
»Weil ich jetzt weiß, wie es ist, wenn man sich nicht sicher ist, ob man den Richtigen erwischt hat.« Er lachte auf.
»Du machst einen Fehler. Ich bin nicht der Augensammler.«
Scholle wischte sich erneut den Schweiß von den Augenbrauen und kniff die Augen zusammen. »Wir werden sehen«, sagte er schließlich und blinzelte mir zu. Dann öffnete er die Tür und stieß mich in die Dunkelheit.
21. Kapitel
(Noch 55 Minuten bis zum Ablauf des Ultimatums)
Tobias Traunstein
Babuschka. Er war tatsächlich in dieser Puppe gefangen. Tobias hatte keine Ahnung, wogegen er den Holzsarg eingetauscht hatte, aber zumindest war Atemluft jetzt kein Problem mehr. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Stunden hatte er nicht mehr das Gefühl, er müsse mit seinem Brustkorb einen Limokasten stemmen. Auch die Sterne tanzten nicht mehr vor seinen Augen, und er behielt das Gleichgewicht, selbst wenn er aufrecht stand. Denn das konnte er in seiner neuen, stahlumfassten Umgebung. Sicher, es war immer noch dunkel, und seine Kopfschmerzen brüllten schlimmer als anfangs im Koffer. Kein Wunder, nachdem er den Schraubenzieher so lange in die Holzwand gestoßen hatte, bis sich erst einzelne Späne, dann ganze Splitter lösten und irgendwann die Platte durchbrach. Zunächst hatte er nur ein winziges Loch gehauen, gerade einmal groß genug für den Zeigefinger. Später, als die ganze Hand und dann der Unterarm hindurchpassten, war ihm klargeworden, dass er noch einmal von vorne anfangen musste, etwas weiter rechts. Etwas weiter oben. Das war Pech, aber es hätte noch schlimmer kommen können. Hätte er nur wenige Zentimeter weiter unterhalb begonnen, hätte er nicht den Riegel ertasten können, der den Deckel mit den Seitenwänden der Kiste verschloss. Seine Finger hatten ihn zwar schon berührt, aber er war zu weit entfernt, um ihn zu bewegen.
Und wo bin ich jetzt?
Tobias spürte eine neue Welle der Angst durch seinen Körper fluten. Er konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor in einem Raum gewesen zu sein, dessen Wände so kalt und glatt gewesen waren.
Ein Müllwagen, dachte er panisch. So stelle ich mir das Innere eines Müllwagens vor.
Zum Glück roch es nicht ganz so streng. Eher nach Werkstatt oder nach Schiff.
Ja, verdammt. Hier riecht es wie auf dem Motorboot, das Papa sich mal kaufen wollte.
Nach Schmieröl und Brackwasser. Und außerdem schwankte es sanft.
Tobias hatte den gesamten Boden, alle Wände abgesucht und war sogar noch einmal in die Holzkiste zurückgeklettert, doch dieses Mal hatte er keinen weiteren Gegenstand gefunden, mit dem er etwas gegen die Metallwände ausrichten könnte.
An der einen Seite des Raumes hatte er zwar mittig einen dünnen Spalt ertasten können, aber er fand keinen Ansatz, um ihn mit dem Schraubenzieher aufzuhebeln. Nach dem dritten Versuch schon hatte sich der Stab vom Holzgriff gelöst und war mit einem lauten Klonk heruntergefallen. Jetzt lag er kraft- und nutzlos auf dem Boden. Auf dem schwankenden Boden.
Zuerst hatte er es für eine weitere Gleichgewichtsstörung gehalten. Immerhin hatte er jetzt seit Tagen weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich genommen, und er fühlte sich matt und ausgelaugt. Da war es kein Wunder, wenn man glaubte, der Boden unter einem gäbe nach. Allerdings waren da auch noch diese Geräusche. Das Knirschen, als würde ein trockenes Tau zerreißen.
Da ..., da ist es wieder!
Tobias kämpfte gegen die Müdigkeit an; diese
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