Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
Jens damals in der großen Pause vorgeführt hatte. Seine Eltern waren stinkreich (Vater sagt immer, die verdienen mit ihrer Autoglaserei so viel, dass sie sich mit den Scheinen den Arsch abwischen können, wenn das Papier mal knapp wird), und deshalb war Jens der Erste in der Klasse, dem seine Eltern das neuste iPhone gekauft hatten, mit dem man sich Videos in Sekundenschnelle runterziehen konnte und so. Gleich am ersten Tag hatten sich alle hinter der Turnhalle getroffen, und Jens hatte ihnen stolz den Filmausschnitt gezeigt, in dem ein nacktes Mädchen von mehreren Jugendlichen in einen Sack gesteckt wurde. Sie strampelte, wehrte sich mit Händen und Füßen, aber dann war sie endlich drinnen, fest verschnürt. Zuerst lachte Toby mit den anderen, denn es sah wirklich so aus, als tobe ein Bündel Schlangen unter dem Stoff. Doch als der Mann mit der Zigarette im Mund lachend einen Benzinkanister über dem zuckenden Sack ausgoss, wurde ihm schlecht. Tobias hatte sich abgedreht und war zum Schulhof zurückgegangen. Allein.
    Wahrscheinlich machen sie das Gleiche jetzt mit mir. Weil ich so eine Memme war und nicht hingesehen habe. »Okay, ihr habt gewonnen«, rief er in die Dunkelheit und stellte sich vor, wie Kevin und Jens sich gerade den Mund zuhielten, damit er ihr Lachen nicht hören konnte. »Kommt schon, lasst mich raus.« Keine Antwort.
    Er stemmte verzweifelt beide Fäuste in Kopfhöhe gegen den Stoff und fühlte, wie ihm der Schweiß die Stirn hinunterlief. Sein Atem ging schneller, wie nach einem 400-Me-ter-Lauf, dabei hatte er sich in den letzten Minuten gar nicht mehr so sehr angestrengt.
    Hier drinnen kann man ja auch nicht viel machen. Nur Angst haben.
    Tobias zog den Rotz hoch und atmete tief durch. Dabei tastete er mit den Fingern, die immer noch so brannten, als tauten sie nach einer Schneeballschlacht wieder auf, die weichen Wände um ihn herum ab.
    Zum Glück waren sie nicht feucht, und es roch auch nicht nach Benzin, also hatten sie diesen Teil des Videos ausgelassen. Bis jetzt.
    Plötzlich stieß er auf etwas Kaltes. Ein kleines Stück Metall, das über ihm hing, an der seitlichen Kante seines Stoffsargs, etwa in Höhe des Bauchnabels. Es war so groß wie eines dieser Zippo-Feuerzeuge, die sein Vater am Wochenende immer nachfüllte.
    Scheiße, es fühlt sich sogar so an wie ein Zippo.
    Nur, dass es garantiert kein Feuerzeug war, denn diese Sorte Feuerzeuge hatte einen Deckel, der sich öffnen ließ, und ein Rad, an dem man drehen konnte. Und sie hängen ganz bestimmt nicht in der Dunkelheit von einer Stoffdecke herab.
    Tobias hielt die Luft an, damit ihn seine eigenen, keuchenden Atemgeräusche nicht ablenkten. Dann, als er die Oberseite des Fremdkörpers abtastete und auf den winzigen Bügel stieß, wusste er, was er in der Hand hielt. Es ist ein Schloss. So ein kleines, bronzefarbenes Vorhängedingsbums, das ich für die Kette brauche, mit der ich mein Fahrrad abschließe.
    Er hustete vor Aufregung. Noch war er sich nicht sicher, was die Entdeckung bedeutete, aber, verdammt noch mal, immerhin war es eine Entdeckung. Zum ersten Mal hatte er etwas in der Hand; im wahrsten Sinne des Wortes. Etwas, was ihn hier vielleicht rausbringen könnte. Also ist es ein Test? Ihr stellt mich auf die Probe? Tobias rüttelte ungeduldig an dem Schloss, doch nichts geschah, in welche Richtung er es auch riss. Nicht mit roher Gewalt!, hörte er schon wieder die Stimme seiner Mutter, und diesmal folgte er ihrem Ratschlag. Behutsam tastete er den Gegenstand ab, und als er dessen Unterseite berührte, war er sich auf einmal gar nicht mehr so sicher, ob es wirklich ein Schloss war. Denn Scheiße, wo zum Teufel war die Öffnung?
    Die Muschi, wie Kevin den Schlitz nannte, in den der Schlüssel gesteckt werden musste.
    Da war zwar ein Spalt, aber der war viel zu gerade, zu glatt. Einfach nur eine Furche, in die sein Fingernagel hineinpasste, ähnlich wie bei einer großen Schraube. Okay, konzentrier dich. Ist doch egal, wenn der Schlitz fehlt.
    Du hast eh keinen Schlüssel. Eine Schraube ist viel besser. Vielleicht muss man die einfach nur aufdrehen, und dann... Er hustete, fragte sich, ob er schon wieder vergessen hatte zu atmen. Irgendwie bekam er immer weniger Luft hier drinnen.
    ... und dann kommt hier Licht rein, ich kann diesen Scheißsack oder -stoff oder sonst was wegreißen und wieder richtig durchatmen.
    Aber wie? Womit nur sollte er die Schraube in dem Dingsbums lösen?
    Er steckte den Daumennagel in die Furche

Weitere Kostenlose Bücher