Der Augensammler
nach seinen Kindern zu bitten. Jetzt sah der hellbraune Zweireiher allerdings aus, als hätte er in ihm geschlafen. Das Revers war zerknittert und an mehreren Stellen fleckig, was unpassend wirkte für den Besitzer der größten Reinigungskette Berlins.
Aber lange nicht so unpassend wie das gesamte Szenario hier.
Zuerst hatte Traunstein mein Eintreten nicht gehört. Erst als ich mich räusperte und danach seinen Namen rief, reagierte er, indem er etwas linkisch versuchte, sich aus einem tiefen Lehnsessel hochzudrücken.
Vergeblich. Die halbe Flasche Bourbon hatte ihn jeglicher Kraft beraubt.
»Was'n los?«, nuschelte er gedehnt, als ich vor ihm stand. In den alkoholtrüben Augen spiegelte sich die tumbe Aggressivität von Betrunkenen wider, die nur nach einem Vorwand suchen, um eine Schlägerei vom Zaun zu brechen. »Das Gleiche könnte ich Sie fragen«, antwortete ich mit Blick zur Leinwand, auf der die Bilder immer eindeutiger wurden. Die Frau in der Wanne hatte sich jetzt umgedreht und presste, den Kopf in Hüfthöhe, beide Hände an die Pobacken des Mannes. Bis jetzt sah man nichts, was das Fernsehen nicht bereits am Nachmittag ausstrahlte, aber das nahm dem Film nicht seinen anstößigen Charakter. Es war gewiss nicht verboten, sich in seinen eigenen vier Wänden einen Pornofilm anzusehen, selbst dann nicht, wenn man erst vor wenigen Stunden zum Witwer geworden war und sein eigen Fleisch und Blut in den Händen eines Wahnsinnigen wusste.
Es ist nicht verboten. Aber es ist auch nicht richtig. »Haben Sie nichts Besseres zu tun?«, fragte ich ihn. Er fuhr sich durch die wirr abstehenden Haare und glotzte mich an, wobei ich mir nicht sicher war, ob sich sein verständnisloser Blick auf meine Frage bezog oder darauf, wer zum Teufel in seinem Wohnzimmer stand. »Woll'n se?«, fragte er nach einer längeren Pause. Ich hatte mich inzwischen umgesehen, in welcher Richtung die Küche lag, wo ich Kaffee aufsetzen konnte, um den Mann wieder auf die Beine zu bekommen. »Wir müssen reden«, erklärte ich knapp. »Worüber?«, bellte er zurück. Er blinzelte müde und machte keine Anstalten, sich den Sabberfaden vom Kinn zu wischen.
»Darüber, ob Sie vielleicht etwas wissen, was uns zu dem Mann führt, der Ihre Frau ermordet hat.« Ob Sie kurz vor dem Mord mit ihr telefoniert haben. Ob Sie sie tatsächlich davor gewarnt haben, in den Keller zu gehen.
»Lucia war 'ne Hure!«, stieß er keuchend hervor. »Eine dreckige Hure.«
Ich zuckte zusammen, als hätte Traunstein mich mit seinen hasserfüllten Worten geohrfeigt.
»Hat nur rumgefickt. Da.« Er griff zu einer Fernbedienung auf dem Beistelltisch und drehte mit einer angesichts seines Zustands erstaunlichen Treffsicherheit den Ton lauter. Das Stöhnen ließ keinen Zweifel daran, was die beiden Personen in der Eckbadewanne trieben.
»Mein Haus«, lallte Traunstein. »Das ist mein Haus. Mein Badezimmer. Meine Frau.« Er lachte hysterisch. »Sogar meine beschissene Kamera. Aber der Wichser da ...«, er machte eine abfällige Handbewegung zur Leinwand, auf der der behaarte Männerhintern wieder das gesamte Bild in Beschlag nahm, »... der bin ich nicht.« »Hören Sie, Ihre Eheprobleme gehen mich nichts an«, versuchte ich zu beschwichtigen.
Eigentlich geht mich hier gar nichts etwas an. Ich jage nur den Visionen einer Blinden hinterher. »Aber sollten Sie nicht lieber bei der Suche nach Ihren Kindern helfen?«
»Nach Lea? Nach Toby? Zum Teufel.« Ich dachte erst, ich hätte mich verhört, aber dann wiederholte er es und spuckte tatsächlich auf den Boden. »Drecksbälger! Sind nicht von mir!«
Er ließ die Fernbedienung fallen und schaffte es auf einmal doch, sich aus dem Sessel zu wuchten. Mit einer Hand an der Lehne stand er auf wackeligen Beinen und sah mir in die Augen. Er stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch.
»Nicht von mir. Verstehst du?«
Nein, tat ich nicht. Um ehrlich zu sein, verstand ich in diesem Augenblick noch gar nichts. Die Wahrheit sollte mich allerdings schon wenige Sekunden später mit ungebremster Wucht überfahren, ungefähr in dem Moment, in dem auch Traunstein langsam zu begreifen begann. »Verdammt, ich weiß, wer du bist«, krächzte er, noch mit zögerndem Unterton, dann fixierte er mich eingehend. Etwas Beunruhigendes bahnte sich langsam, aber sicher den Weg durch seine alkoholvernebelten Gedankengänge. Traunsteins Gesichtszüge veränderten sich, spannten sich ebenso an wie der Rest seines bislang schlaffen Körpers. »Hab deine
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