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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Stoya und Scholle die grässlichen Fotos der Mordopfer sehen konnten. Als ob ich die kleinen Körper und die leeren Augenhöhlen jemals vergessen könnte, ärgerte sich Stoya über diese theatralische Geste des Professors.
    »Anhaltspunkte?«, forderte er Hohlfort ungeduldig auf, konkreter zu werden.
    »Jeder Täter hat ein Ziel. Es mag einem normalen Menschen nicht begreiflich sein, aber dennoch ist es vorhanden. Und im Fall des Augensammlers ist es sogar recht offensichtlich.«
    »Klar doch«, polterte Scholle und zeigte wütend auf die Akte. »Er ist ein sadistischer Pädophiler. Ihm geht einer ab, wenn er kleine Kinder quält.«
    »Falsch. Dagegen spricht das Fehlen jeglicher Missbrauchsspuren bei den Opfern.« Hohlfort schüttelte schulmeisterlich den Kopf. »Und eine Sexualstraftat würde auch nicht das Entfernen des linken Auges erklären, oder?« Die Frage war zwar an Scholle gerichtet, den der Professor jetzt offenbar auf dem Kieker hatte, dennoch gab Stoya die Antwort: »Täter, die die Augen ihrer Opfer bedecken, begehen meistens eine symbolische Handlung und wollen das Geschehene wieder rückgängig machen. Sie können den Anblick ihrer Tat nicht ertragen und schließen den Ermordeten stellvertretend für sich selbst die Augen.« »Doch dann hätte der Augensammler beide Augen herausgeschnitten«, entgegnete Hohlfort und hob das Foto des ersten Opfers, der kleinen Karla Strahl, hoch, um es den beiden Ermittlern zu präsentieren. Stoya unterdrückte den dringenden Wunsch, sich abzuwenden, und starrte stattdessen dem alten Profiler direkt in das solariumgebräunte Gesicht.
    »Also sammelt er Trophäen?«, fragte Scholle. Hohlfort verzog amüsiert die schmalen Lippen. »Trophäen, Andenken, Belohnungen - das sind immer die ersten Vermutungen, die ein Profiler in billigen Krimis anstellt, wenn dem Opfer ein Körperteil fehlt.« Er schüttelte energisch den Kopf. »Nein, ich denke, der Name Augensammler hat uns in die Irre geführt. Er ist kein Sammler.« »Sondern?«
    »Ich würde ihn eher als Transformator bezeichnen. Der Täter stellt einen Zustand her. Er verändert das Wesen der Kinder, transformiert sie zu Kyklopen.« »Ky... was?« Scholle hatte wieder Platz genommen, lehnte sich auf dem Stuhl nach hinten und begann zu kippeln. »Ihnen mag der eingedeutschte Begriff Zyklop geläufiger sein. Jenes Sagenwesen, dessen auffälligstes Körpermerkmal ist, nur über ein Auge zu verfügen.« Hohlfort befeuchtete kurz mit der Zunge die Oberlippe. Stoya musste an eine Eidechse denken. »Auch wenn Sie sicherlich bestens mit der griechischen Mythologie vertraut sind«, fuhr der Professor mit süffisantem Lächeln in Scholles Richtung fort, »so erlaube ich mir dennoch einen kleinen Exkurs.«
    Er legte das Foto der ermordeten Karla zurück und schloss die Handakte.
    »Die ersten und wohl berühmtesten Zyklopen waren die Kinder von Uranos und Gaja, wobei Gaja, wie wir alle wissen, für die Mutter Erde steht. Mit Uranos, dem Gott des Himmels, zeugte Gaja insgesamt drei Zyklopen. Doch diese Kinder waren dem Vater, also Uranos, verhasst. So verhasst, dass er .« Hohlfort machte eine kurze Pause, damit die nachfolgenden Worte mehr Gewicht bekamen, ». die Kinder versteckte!«
    »Wo?« Stoya hatte für einen kurzen Moment Zweifel daran gehabt, ob sie ihre Zeit wirklich weiter mit Hohlforts kruden Ausführungen vergeuden sollten, doch jetzt besaß der gelähmte Professor wieder seine volle Aufmerksamkeit.
    »Tief in der Erde«, sagte der Professor. »Er versteckte die Kinder im Tartaros. So nannten die Götter einen Teil der Unterwelt, der noch hinter dem Hades liegt.« Stoya nickte unbewusst, was ein zustimmendes Nicken Hohlforts auslöste. »Ich sehe, Sie erkennen die Parallele.« »Was geschah mit den einäugigen Kindern?«, wollte Scholle wissen, der kurz mit dem Kippeln aufgehört hatte. »Sie wurden befreit, und zwar von Zeus persönlich, dem höchsten aller griechischen Götter. Die Zyklopen waren über ihre Rettung übrigens so glücklich, dass sie Zeus den Blitz und den Donner schenkten.«
    »Also Ihre Allgemeinbildung ist wirklich beeindruckend, Herr Professor, aber .«
    »... münden Ihre Überlegungen in eine Theorie, mit der wir konkret arbeiten können?«, ergänzte Stoya Scholles Satz, bevor dieser ihn vermutlich wesentlich unhöflicher vollendet hätte.
    Hohlfort grinste selbstgefällig und wirkte auf einmal so vital, dass Stoya sich nicht gewundert hätte, wenn der Professor einfach aus dem Rollstuhl

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