Der Augensammler
Billardtisch saß, wenn auch gefährlich schwankend. »Kannst du mich hören?«, fragte ich. Er zog die Schultern hoch.
Also gut. Mehr als ins Gesicht spucken wird er mir schon nicht.
Ich ließ es darauf ankommen und zeigte ihm das Foto auf meinem Handy. Den Ausschnitt der Aufnahme, auf dem er mit dem Unbekannten zusammengestoßen war. »Erinnerst du dich an den Kerl?«, fragte ich. Linus' Schulterzucken wurde heftiger. Eine tiefe Zornesfalte zerschnitt plötzlich seine Stirn, und er begann, an den wenigen verbliebenen Haarsträhnen zu zupfen.
»Wixatimichpellt!«, sagte er. Dann wiederholte er das sinnlose Wort mehrmals hintereinander. »Wissen Sie, was das bedeutet?«, fragte Alina. »Keine Ahnung. Ich sprech kein Drogisch«, lachte der Wirt.
»Haten Guitenkoff put!«, stellte Linus fest, sehr viel weniger belustigt. Wenn ich mich nicht täuschte, hatte er sich gerade ein langes Haar ausgerissen und in den Mund gesteckt. »Er redet von seiner Gitarre, nicht wahr?« »Möglich. Wenn irgendjemand sein Geschwafel übersetzen kann, dann ist es seine Weggefährtin.« Der Blick des Wirts wanderte erneut zu Alina und blieb an dem Hund hängen. »Aber die hat auch 'nen Pfeil im Kopf, wenn Sie wissen, was ich meine. Nennt sich Yasmin Schiller und war damals mit Linus in der Psychoklapse, aber als Krankenschwester. Hockt oft am Tresen und labert mich voll, dass sie gemeinsam eine Band gründen wollen und so, kann man das glauben? Jedenfalls hat diese Yasmin mir erklärt, Linus würde einfach nur mehrere Worte zusammenmixen. Sein Kopf ist also so was wie ein Cocktailshaker.« Er lachte wieder.
Linus' Blick wurde glasig, und ich fragte mich, ob er noch wahrnahm, dass wir über ihn redeten. »>Wixatimich< zum Beispiel sagt er sehr oft. Muss irgendwas mit Wichser heißen.«
»Von denen gibt es vermutlich viele in seinem Leben«, warf Alina ein.
Linus drehte den Kopf zu ihr. »Haten Guitenkoff put!«, wiederholte er und klang dabei so, als verlange er eine Bestätigung für seine Erkenntnis, doch der Einzige, der ihm im Augenblick eine größere Beachtung schenkte, war TomTom. Der Retriever starrte aufmerksam hechelnd in die Richtung des Musikers.
»Was haben Sie ihm denn da gerade gezeigt?« Der Wirt hatte seine Lesebrille abgenommen und sich den linken Bügel in den Mund gesteckt. Er kam mir so nahe, dass ich seinen schlechten Atem riechen konnte. »Kann ich das auch mal sehen?«
Als mir einfiel, dass der Mann auf der Aufnahme eine große Ähnlichkeit mit mir besaß, war es zu spät, und ich hatte dem Wirt mein Handy bereits gegeben. Ihm schien das nach einem flüchtigen Blick auf das Display jedoch nicht ins Auge zu springen.
»Der Mann neben Linus ist ein Trickbetrüger«, sagte ich. »Gestern hat eine Überwachungskamera festgehalten, wie er in ihn hineingelaufen ist.« Ich bastelte mir beim Reden schnell eine harmlose Geschichte zurecht. »Wir dachten, er kann uns weitere Hinweise geben.« »Und ihr seid noch mal wer?«
Sein wacher Blick hüpfte abwechselnd zu mir und Alina und wieder zurück. Ich zog den Presseausweis aus meiner hinteren Jeanstasche. »Wir schreiben eine Story über den Kerl.« Der Barkeeper lachte laut auf, dann zeigte er auf Alina. »Alles klar. Und die Blinde da ist deine Fotografin, was?« Ich verpasste die Gelegenheit, etwas zu erwidern, und fühlte mich ertappt. Den Wirt schien das nicht zu stören. »Na ja, ist ja auch egal. Hauptsache, ihr seid keine Freunde von dem Dreckskerl auf dem Bild.« »Wohl kaum«, sagten Alina und ich wie aus einem Mund. Ich steckte meinen Ausweis wieder weg und nahm das Handy zurück. Es fühlte sich feucht an von den Fingerabdrücken, die der Barkeeper darauf zurückgelassen hatte. »Na schön, dann erzähl ich euch mal was über das Arschloch, das ihr da fotografiert habt.« »Sie kennen ihn?« Den Augensammler?
»Nein. Aber gestern Nachmittag, so gegen vier, kam Yasmin hier rein. Wütend wie eine geprellte Straßennutte. Sie schimpfte auf ein Arschloch, mit dem Linus Streit gehabt habe, und dann hat der Kerl gegen seinen Gitarrenkoffer getreten.«
Haten Guitenkoff put.
Ich sah zu Alina, die sich mit einem Knie auf dem Boden abstützte, um TomTom zu streicheln. Sie nickte und gab mir dadurch zu verstehen, dass sie das Gleiche dachte wie ich. Es passt. Zeitlich und räumlich. Das war der Mann vom Band.
»Das gesammelte Geld eines Tages war wohl über den Bürgersteig verstreut. Eine Stunde später kam Linus dazu und hat sich volllaufen lassen.« Er nickte
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