Der Augensammler
Papa.
»Himmel, wie stellst du dir das vor? Das geht nur über Kontakte. Und meiner schläft um diese Zeit!« Meiner leider nicht. Stoya hat mich gerade zur Fahndung ausgeschrieben und arbeitet auf Hochtouren. »Okay, Frank, ich versuche noch mal, Stoya zu überzeugen.«
»Nein, tu das besser nicht.« »Wieso?«
»Weil ich vielleicht schon längst habe, wonach du suchst.« Die Ampel sprang auf Grün, und ich hatte für einen kurzen Moment das Gefühl, geblendet zu werden. Hinter mir hupte jemand, und als ich meine Augen wieder öffnete, brauchte ich einige Zeit, bis ich die Straße nicht mehr wie durch einen verschwommenen Schleier sah. »Wie das?«, fragte ich.
Wie konnte Frank den Halter eines Fahrzeugs ermitteln, von dem er noch nicht einmal das Nummernschild kannte? »Recherche«, war seine schlichte Antwort. Passenderweise konnte ich im Hintergrund das vertraute Klingeln mehrerer Telefone in der Großraumredaktion hören. »Wenn ich eins kann, dann ist es Informationen besorgen. Vertrau mir.«
Beim nächsten Satz senkte er die Stimme. »Die Frage ist allerdings, wie sehr du der weiblichen Stevie Wonder an deiner Seite vertraust.«
Ich warf einen Blick in den Rückspiegel. Alina hatte mit TomTom auf den hinteren Sitzen Platz genommen, als wäre ich ihr Chauffeur. Im Augenblick war mir die akustische Distanz allerdings sehr recht. »Was ist mit ihr?«, fragte ich leise.
Wir fuhren auf einer breiten Allee, deren Name mir gerade nicht einfallen wollte, Richtung Stadtautobahn. Bislang hatte ich kein konkretes Ziel, aber eine innere Stimme sagte mir, dass es besser war, in Bewegung zu bleiben. Und vermutlich lenkte sie mich instinktiv auf einen Weg, der zu meinem Hausboot führte.
»Korrigier mich, falls ich falsch liege, aber sagte Alina nicht sinngemäß, wir sollten nach einem frei stehenden Einfamilienhaus mit einer Zufahrt suchen, vor der der Augensammler unmittelbar nach der Tat geparkt hat?« »Richtig.« Alinas letzte Vision, von der sie mir in Franks Gegenwart erzählt hatte, hatte ich ganz vergessen. »Gut, nehmen wir spaßeshalber mal an, dass unser Psychopath nach dem Mord tatsächlich zu einem Haus gefahren ist, um sich dort eine Limo zu genehmigen. Dann spricht einiges dafür, dass er dafür dasselbe Auto benutzt hat, mit dem er einen Tag später den Strafzettel kassierte, richtig?« »Ein paar Hypothesen zu viel für meinen Geschmack, aber ich kann dir folgen.«
Haben wir das Haus, haben wir auch den Halter. Vorausgesetzt, es gibt eine Übereinstimmung zwischen der Wirklichkeit und Alinas irrealen Phantasien. »Okay, so weit, so gut. Ich habe mir also gedacht, der Täter wird, um nicht aufzufallen, die Tachonadel exakt im grünen Bereich halten. Dann habe ich, basierend auf Alinas Aussage, mal ein Zeitfenster von maximal vier Minuten für meine Berechnungen zugrunde gelegt. Nimmt man den Teufelsberg als Ausgangspunkt, hätte der Augensammler in dieser Zeit kaum eine verkehrsberuhigte Zone verlassen können. In dieser Gegend wimmelt es nur so von Schulen, Spielplätzen, Sportanlagen und Kindergärten.« »Schön, du hast also das gesuchte Gebiet auf mehrere Quadratkilometer eingegrenzt.«
»Auf einen Radius von fünf Komma sechs, um genau zu sein, aber davon ist das meiste Wald- oder Nutzfläche.« Ich hörte eine Computertastatur unter Franks Händen klackern. »Zudem haben wir viele Schrebergärten hier, Naherholungsgebiete, Forstwege etc. Die Gesamtsumme der relevanten Straßenzüge dürfte nicht viel mehr als eine Marathonlänge betragen.«
»Die du natürlich abgelaufen bist«, lachte ich. »Korrekt.«
Ich trat abrupt auf die Bremse, weil vor mir ein Fußgänger auf die Fahrbahn gesprungen war, um den Bus auf der anderen Straßenseite zu erreichen. Auf der Rückbank beschwerte sich Alina über meinen Fahrstil, offenbar hatte sie nur mit Mühe verhindern können, dass TomTom vom Sitz rutschte.
»Willst du mich verarschen?«, fragte ich nach einer Schrecksekunde.
»Schon mal was von Google Earth gehört?«, antwortete er belustigt.
Logisch. Na klar.
Ich beschleunigte wieder und stellte die Scheibenwischer eine Stufe höher, was allerdings nur dazu führte, dass die Windschutzscheibe verschmierte. Der Schnee fiel in münzgroßen Flocken herab, war aber nicht feucht genug, um den Winterdreck vom Glas zu wischen, mit der Folge, dass ich kaum etwas sehen konnte. Was für eine Parallele!
Mir kam es vor, als arbeitete der gleiche, abgenutzte Scheibenwischer auch in meinem Kopf.
Je mehr ich
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