zu dem Musiker, der immer noch schwankend auf dem Tisch saß. »Das Ergebnis ist ja nicht zu übersehen.« »Wo finde ich diese Yasmin?«, wollte ich wissen. »Sehe ich aus wie eine beschissene Sekretärin? Ich mach doch keine Termine mit meinen Gästen. Mal kommt sie täglich, mal drei Wochen gar nicht.« Na bestens.
Ich hatte gerade entschieden, dass wir viel zu viel Zeit in einer Sackgasse verplempert hatten, als es laut klatschte. Alle im Raum außer Linus zuckten zusammen. »Stauff Behindiplatz!« Der Musiker hieb erneut mit der flachen Hand auf die hölzerne Bande des Pooltisches. »Stauff Behindiplatz!«
»Ja, ich weiß ja«, sagte der Wirt und drehte sich um. »Komm Linus, ich geb dir einen Kaffee aus. Und vielleicht sind noch Würstchen in der Küche.«
Offenbar war das Gespräch für ihn an dieser Stelle beendet. Ich bat Alina, kurz auf mich zu warten, dann folgte ich dem alten Mann und stellte mich ihm in den Weg, bevor er die Theke erreicht hatte. »Was hat Linus eben gesagt? Was wissen Sie?« Der Barkeeper sah auf meinen Arm, der auf seiner Schulter ruhte. Dann blickte er mir direkt in die Augen. Erst als ich ihn losließ, begann er zu reden. »Linus ist immer noch wütend auf den Kerl. Aber nicht, weil er angerempelt wurde.
Auch nicht, weil er eine halbe Stunde lang nach seinen Münzen im Rinnstein suchen musste.«
»Sondern?«
»Weil der Typ seine Karre auf einem Behindertenparkplatz abgestellt hatte.« Stauff Behindiplatz.
Ich massierte mir den Nacken und drückte einen Migränepunkt direkt neben den Halswirbeln, den mir ein Neurologe einmal gezeigt hatte. Darauf musste man erst mal kommen. »Linus ist echt ein guter Kerl. Der Kopf ist vielleicht verrückt, aber sein Herz sitzt auf dem rechten Fleck.« »Tixxokomm.«
Ich drehte mich zu der Stimme in meinem Rücken. Linus stand grinsend im Türrahmen und reckte die Faust nach oben. Hinter ihm tauchte Alina auf. »Tixxokommteu!«
»Ja, ja. Da freust du dich. Das wird teuer für den Wichser.« Der Wirt formte mit den Fingern der rechten Hand ein Rohr und machte eine obszöne Bewegung. »Was wird teuer?«, fragte ich und kam mir langsam immer bescheuerter dabei vor, mir das Kauderwelsch eines geistig verwirrten Obdachlosen von einem nicht minder merkwürdigen Barkeeper übersetzen zu lassen. Doch dann wurde mir plötzlich von ganz alleine klar, was Linus gerade sagen wollte. Tixxokommteu!
Der Augensammler hat ein Ticket bekommen.
Einen Strafzettel, mit dem man ihn identifizieren konnte.
Erster Brief des Augensammlers, zugestellt via E-Mail über einen anonymen Account
An:
[email protected] Betreff: Wahrheit
Blinde Frau Bergdorf,
diese Mail an Sie ist wahrscheinlich ebenso lächerlich wie die verzweifelten Bemühungen meiner kindlichen Figuren, sich aus ihrem zugewiesenenVersteck zu befreien, bevor ihre Zeit endgültig verstrichen ist.
Mein Versuch, den Kübel Schweinemist wieder abzuwaschen, den Ihr Blatt täglich über mir entleert, wird fehlschlagen. Das ist so sicher wie die Tatsache, dass diese Mail in den nächsten Stunden durch Dutzende von Händen gereicht wird. Zittrige wie Ihre. Nervöse wie die der Techniker, die irgendwo in Ruanda landen werden, wenn sie den Account zurückverfolgen, von dem ich diese Mail verschickt habe. Es werden auch ruhige, professionelle Hände darunter sein; die der Psychologen und Sprachwissenschaftler, die jede Formulierung, jedes Wort, ja sogar das Semikolon in diesem Satz sezieren werden. Aber bitte zeigen Sie diesen Brief nicht Adrian Hohlfort, dem ich es eher zutrauen würde, in die Fußballnationalmannschaft aufgenommen zu werden, als mir auf die Spur zu kommen. Dieser »Super-Profiler«, wie ihn das spröde Klopapier nennt, das Sie für eine Zeitung halten, würde sogar übersehen, dass ich schon im ersten Satz dieser Mail einen Hinweis gab, indem ich zwar von mehreren Kindern, aber nur von einem Versteck sprach! Eine One-fits-all-Lösung sozusagen, ein Versteck, dem die Polizei bislang ungefähr so nahe gekommen ist wie mein Schwanz der Muschi von Madonna (um mich mal auf das Niveau Ihrer IQ-reduzierten Journalisten zu begeben). Sparen Sie sich die fünfhundert Euro Stundensatz, die Ihnen Mr. Rollstuhl in Rechnung stellen wird, wenn er Ihnen erklärt, es wäre ein Zeichen von Größenwahn, wenn ich mich in der Tradition von Serienkillern wie Zodiac an die Medien wende. Ich will meine Jäger nicht verhöhnen. Ich brauche keinen Ruhm. Das Gegenteil ist der Fall: Ich will, dass Sie endlich