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Der Augensammler

Der Augensammler

Titel: Der Augensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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gemacht, direkt auf das Textband zu schauen. Die leuchtenden Buchstaben wirkten wie Brenneisen, die sich in meine überempfindlichen Augen pressen wollten.
    Dashing through the snow In a one horse open sleigh O'er the graves we go Laughing all the way
    Schnell wandte ich mich von der Leuchtanzeige ab und griff nach einem schweren, bronzenen Türklopfer, den ich gegen das Holz fallen ließ. Es gab ein kurzes, dumpfes Pochen, von dem ich mir nicht sicher war, ob es im Inneren überhaupt wahrgenommen werden konnte, also schlug ich noch zweimal mit der Faust gegen die Tür und wartete. Nichts.
    Weder ein Rascheln oder Schlurfen noch sonst ein menschliches Geräusch, das darauf schließen ließ, dass sich jemand die Mühe machen wollte, mir zu öffnen. Vielleicht schlafen die Besitzer ja, dachte ich, ohnehin davon überzeugt, vor dem falschen Haus zu stehen, sollte es denn ein richtiges überhaupt geben.
    Jingle bells, jingle bells, jingle all the way begann ich in Gedanken zu summen. Unglaublich, wie sich die harmlose Melodie nur durch die kurze Textzeile auf dem Laufband sofort in mein Gehirn gefressen hatte. Dashing through the snow in a one horse open sleigh. O'er the...
    Ich stockte. Die Schellenringe in meinem Kopf verstummten abrupt. Was zum Teufel wollte ich da gerade summen? Over the graves we go? Über die Gräberfahren wir? Ich fragte mich, wie um Himmels willen ich auf diesen morbiden Text kam, und sah noch einmal auf das Laufband. So lange, bis die entsprechende Textzeile wieder erschien:
    Dashing through the snow In a one horse open sleigh O'er the fields we go
    Alles normal. Hm.
    Für einen kurzen Moment hätte ich schwören können, den veränderten Text in dem Kasten gelesen zu haben, aber dafür gab es jetzt keine Anzeichen mehr. Meine müden, tränenden Augen mussten mir einen Streich gespielt haben. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass ich in den letzten Tagen kaum geschlafen hatte und in meinen wachen Stunden einen Wahnsinnigen jagte, während ich mittlerweile selbst auf der Flucht war.
    Laughing all the way Bells on bob tails ring
    Ich wollte gerade wieder mitsummen, während ich überlegte, ob ich noch einmal anklopfen sollte, als sich auf einmal der Text vor meinen Augen veränderte. Diesmal gab es keine Zweifel.
    Der Schlüssel liegt im Trog, benutz ihn, du bist tot...
    Ich schrie auf, taumelte einen Schritt rückwärts und schrie noch lauter, als ich auf die Gestalt prallte, die hinter mir im Dunkeln auf mich gewartet hatte.
     

40. Kapitel
    Hast du das gesehen?«, entblödete ich mich Alina zu fragen, die sich im Gegensatz zu mir köstlich über meine Schreckhaftigkeit amüsierte.
    »Ehrlich gesagt frage ich mich, wer von uns beiden noch Augen im Kopf hat«, konterte sie.
    »Tut mir leid, aber ...« Ich zögerte, weil ich nicht wusste, wie ich ihr erklären sollte, was mir gerade passiert war. Zumal das Laufband jetzt wieder den normalen, harmlosen Songtext abnudelte und ich selbst einem Sehenden gegenüber meine mysteriösen Wahrnehmungen nicht hätte beweisen können.
    »Warum bist du nicht vorne geblieben?«, fragte ich flüsternd und sah zu TomTom, den sie von der Leine gelassen hatte. Dennoch hielt er sich dicht neben seiner Herrin und leckte etwas Schnee zu seinen Pfoten auf. Alina lächelte trotzig. »Ich wollte nicht schon wieder eine halbe Stunde in der Kälte auf den gnädigen Herrn warten, bis er mich zu einem Verhör dazubittet.« »Das mit Traunstein war kein .«
    In diesem Moment blieb mein Blick an einem umgedrehten rostroten Blumentopf hängen, der wenige Schritte von Alina entfernt auf dem Rasen stand.
    Der Schlüssel liegt im Trog,
    Ich ging in die Knie und hob den Topf an. Er löste sich mit einem satten Schmatzen von dem halbgefrorenen Erdboden. Mehrere kleine Käfer, deren Nachtruhe ich gestört hatte, huschten in die Dunkelheit davon. Dann entdeckte ich das schwarze Kunstlederetui. Es wog leicht in der Hand, und ich konnte darin nur einen einzigen Schlüssel ertasten.
    Der Schlüssel liegt im Trog, benutz ihn .
    »Was hast du?«
    Langsam, wie unter dem Einfluss starker Betäubungsmittel, ging ich an Alina vorbei zur Haustür zurück. Sie hielt mich am Ärmel fest und bat, endlich darüber aufgeklärt zu werden, was ich herausgefunden hatte, also gab ich mir große Mühe, es ihr zu erklären. Wenn sie Zweifel an meinen Wahrnehmungen hatte, dann ließ sie es sich nicht anmerken. Im Gegenteil. Sie wirkte, als hätte sie die Abenteuerlust gepackt, als ich ihr von der Warnung

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