Der azurne Planet
Luft. Semm Voiderveg, der immer noch Mühe hatte, die Balance zu wahren, schrie mit schriller, weinerlicher Stimme: »Gnade, König Krakon, es war nur ein fürchterliches Mißverständnis! Gnade, Gnade!«
König Krakon kam näher und ließ die Überreste des umgestürzten Turms auf Semm Voiderveg herabsausen. Dann warf er sich mit aller Macht gegen den Turm und schleuderte anschließend brüllend und zischend ein großes Trümmerstück in Richtung von Sklar Hast. Schließlich erhob er sich, schob seine mächtige Gestalt vorwärts und wuchtete sich auf die Plattform hinauf.
»Lauft!« schrie Rollo Barnack heiser. »Lauft um euer Leben!«
König Krakon gab sich diesmal nicht mit der Verwüstung von Tranque zufrieden. Er fiel in der gleichen Weise über Thrasneck und Bickle her und wandte sich schließlich – erschöpft oder von Schmerzen übermannt – der See zu und verschwand.
8
Auf Apprise wurde eine Großversammlung einberufen. Barquan Blasdel, der Fürbitter dieser Plattform, war der erste, der das Wort ergriff. Was er zu sagen hatte, klang – und das war zu erwarten gewesen – bitter; die Art in der er sprach, strahlte Grimm aus. Er lobte die Taten Semm Voidervegs über den grünen Klee und beklagte den Tod derjenigen, die König Krakon auf Tranque, Bickle, Thrasneck zum Opfer gefallen waren, beschrieb die Auswirkungen der Katastrophe und spekulierte in einem pessimistischen Tonfall über das gebrochene Abkommen.
»Die verständliche Wut König Krakons ist noch immer nicht gestillt – aber zeigen die Schuldigen etwa Reue? Nein. Heute morgen hat König Krakon die Boote von vier Hochstaplern aus Vidmar angegriffen und zerstört. Kann man es ihm übelnehmen, wenn man bedenkt, daß er in gutem Glauben nach Tranque kam, sich unter dem Schutz des Abkommens in die Lagune hineinbewegte, von einem Fürbitter willkommen geheißen wurde – nur um dann zum Zielpunkt eines mörderischen Angriffs zu werden? Welchen Großmut hat König Krakon bewiesen, indem er sich nicht dazu hinreißen ließ, auch noch die letzte Plattform zu zerstören!
Es steht außer Frage, daß die verkommenen Verschwörer, die diesen Plan ausheckten, bestraft werden müssen. Die letzte Versammlung endete in Aufruhr und Fehde. Diesmal müssen wir sachlicher und unter starker Selbstkontrolle unseren Urteilsspruch fällen – aber handeln müssen wir! Die Verschwörer müssen sterben!«
Diesmal bat Barquan Blasdel das Publikum noch nicht, die Fäuste zu erheben; zunächst sollte den Angeklagten die Gelegenheit gegeben werden, ihre Handlungsweise zu erklären.
Phyral Berwick, der Schiedsmann von Apprise, der auch diesmal wieder den Posten des Diskussionsleiters übernommen hatte, schaute in die Runde. »Wer möchte das Wort haben?«
»Ich.« Gian Recargo, der Älteste der Schieber von Tranque, kam nach vorn. »Ich war nicht aktiv an der Verschwörung beteiligt. Anfänglich war ich sogar linientreu, aber meine Ansichten haben sich geändert. Und sie sind immer noch die gleichen. Die sogenannten Verschwörer haben in der Tat ein großes Unglück über unsere Plattform gebracht. Sie ist verwüstet, Menschen haben sterben müssen. Es tut ihnen aber ebenso leid wie allen anderen. Aber wir müssen mit Tod und Zerstörung fertig werden. Sie sind unausweichlich, und ich bin in dieser Beziehung mit Sklar Hast einer Meinung. König Krakon muß getötet werden! Deswegen laßt uns nicht diese Männer anklagen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um uns von ihm zu befreien. Sie haben getan, was in ihren Kräften stand, und Sklar Hast hat sogar sein persönliches Wohlergehen außer acht gelassen, als er versuchte, das Leben unseres Fürbitters zu retten. Es war König Krakon, der Semm Voiderveg tötete.«
Barquan Blasdel sprang auf und machte Gian Recargos Verteidigungsrede damit verächtlich, indem er sie als »das blasphemische Geschwätz eines weiteren Verschwörers« brandmarkte. Nach ihm ergriff Archibel Verack, der Fürbitter von Quincunx, das Wort. Ihm folgten noch eine ganze Reihe weiterer Schiedsmänner, Fürbitter, Sippenälteste und Zunftmeister.
Man gelangte zu keiner klaren Einigung. Wie es schien, unterstützte ein knappes Drittel der Anwesenden den Ruf nach Verurteilung der Angeklagten. Ein weiteres Drittel – und das waren Leute, die durchaus die Zerstörungen und Todesfälle beklagten – bedauerte ebensosehr die Tatsache, daß der Plan mißlungen war. Das restliche Drittel bestand aus Leuten, die gar nicht mehr wußten,
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