Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Februar wurde in Stammheim die erste Abhörmaßnahme vorbereitet, allerdings ohne jede Mitwirkung des BKA (siehe Seite 451 , 458 – 462 , 593 – 608 , 854 ).
Damals waren die Beamten und Politiker, allesamt Juristen, bemüht, bei ihren Anhörungen im Innenausschuß des deutschen Bundestages nicht die ganze Wahrheit zu sagen – und auch nicht direkt zu lügen.
Möglicherweise hatte man schon damals, ein gutes halbes Jahr vor der Schleyer-Entführung, die Kommunikationsanlage der Stammheimer Gefangenen entdeckt – und angezapft.
Die Vollzugsbediensteten und Beamten des Landeskriminalamts, die oftmals die Zellen durchsucht hatten, wußten, daß vor allem Raspe eine Menge Elektrobauteile, Kabel, Stecker besaß. Sogar ein Mikrophon war bei ihm entdeckt worden. Er durfte es behalten. Die Beamten hatten angeblich keine Ahnung, was die Gefangenen mit diesen Dingen anstellten.
Erst nach dem Tod der Häftlinge rekonstruierten Kriminalbeamte und ein Ingenieur der Bundespost, wozu die Gefangenen all das verwendet hatten.
Dabei hätte man in der Vollzugsanstalt gewarnt sein müssen. Denn drei Jahre zuvor hatten findige Häftlinge in Stammheim ein Kommunikationssystem von Zelle zu Zelle entwickelt (siehe Seite 669 – 675 , 752 f., 833 f.).
Während der Schleyer-Entführung wurden die Gefangenen Raspe und Baader zweimal verlegt: Baader von seiner angestammten Zelle 719 in die Zelle 715 , dann zurück in die 719 . Während Baader in der Zelle 715 saß, konnte Raspe in seiner Zelle 718 bleiben. In dieser Zelle konnten die beiden Leitungssysteme, das Kabel für das anstaltseigene Rundfunknetz und der Draht des Schwachstromnetzes für Trockenrasierer, gekoppelt werden. Das entsprechende Verbindungskabel fand sich später in Raspes Zelle.
Als man Raspe Ende September aus seiner Zelle 718 in die Zelle 716 umquartierte, wurde gleichzeitig Baader in seine alte Zelle, die 719 , zurückverlegt. Auch in dieser Zelle fand sich später ein Kabel, mit dem beide Kommunikationsstränge gekoppelt werden konnten.
Die gesamte Zeit der Schleyer-Entführung hindurch konnten die Gefangenen so miteinander sprechen.
Kaum zu glauben, daß niemand in der Anstalt davon etwas mitbekommen haben sollte. Der Ingenieur Otto Bohner, der für den Stammheimer Untersuchungsausschuß ein Gutachten über die Kommunikationsanlage abgab, mutmaßte später: »Es muß einen Grund gegeben haben, warum man diesen Häftlingen gestattet hat, soviel an Technik in ihren Zellen zu haben.«
Auch eine Büchersendung hätte Anlaß zum Nachdenken geben können. Gudrun Ensslin bekam am 12 . Mai 1977 vier Bücher in die Haftanstalt geschickt: 1 . »Sendertabelle«, 2 . »Praktischer Antennenbau«, 3 . »Sender-Baubuch für Kurzwellen-Amateure«, 4 . » KW und UKW Amateurfunk-Antennen«. Als die Besuchsüberwachung der Vollzugsanstalt die Weitergabe der Bücher stoppte, erklärte Ensslin lapidar, sie habe die Bücher nicht bestellt.
Als die Radios aus dem Besitz der Häftlinge überprüft wurden, war eine Dienststelle beteiligt, die kaum Manipulationen hätte übersehen können: die schon erwähnte Gruppe Fernmeldewesen, abgekürzt Gruppe F, des damaligen Bundesgrenzschutzes, eine damals in der Öffentlichkeit unbekannte Abteilung, die vor allem für innerdeutsche Funküberwachung, aber auch im Terrorbereich eingesetzt wurde.
Schon im April 1973 hatte sie ein Rundfunkgerät aus Baaders Besitz untersucht und »funktionswichtige Baugruppen des UKW und Kurzwellenbereiches ausgebaut«. Noch geheimer war die Ingenieurgruppe des BMI (Bundesministerium des Innern), eine Abteilung der Gruppe F, die zunächst in Hangelar, später in Heimerzheim bei Bonn stationiert war. Ende 1972 kam von der Ingenieurgruppe der Hinweis, mit Hilfe von Parabolspiegeln Kassiber der Gefangenen Ensslin, damals in der Haftanstalt Essen, aus »Entfernungen zwischen 100 und 200 Metern so fotografieren zu können, daß man sogar noch die Interpunktionszeichen erkennen könne«.
Die naheliegende Frage, ob auch während der Schleyer-Entführung abgehört wurde, beantworten Behörden und Ministerien seit 1977 mit Nichtwissen. Dabei wäre es ein leichtes gewesen, sich in die Kommunikationsanlage der Gefangenen einzuschalten. Die Technik dafür war vorhanden. Der damalige stellvertretende Anstaltsleiter Schreitmüller sagte später, er habe von Abhörmaßnahmen »praktisch gar nichts mitbekommen«. Er glaube, das Landeskriminalamt »hatte seinen Raum im Mehrzweckgebäude, nicht bei uns«.
In der
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