Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
außerhalb des Traktes. Es ist absolut sicher, daß er keinen Schritt ohne uns gemacht hätte, eben weil er wußte und davon ausging, daß sie ihn dann umlegen. Es gab eine feste Vereinbarung: Keiner geht ohne den anderen einen Schritt.«
Über die mögliche Herkunft des Sandes an Baaders Schuhen sagte sie: »Während des Umbaues [Juni 1977 im Hochsicherheitstrakt], bei dem Wände herausgestemmt wurden, befand sich Zement, Sand und anderes Baumaterial auf dem Boden. Andreas ist oft in den Traktbereich, in den wir später verlegt wurden, gelaufen, um dort die Baumaßnahmen zu besichtigen …«
Da die Gefangenen in ihren Zellen zumeist auf Strümpfen oder barfuß gingen, konnte der Sand an Baaders Schuhen noch von den Umbaumaßnahmen herrühren.
Doch Legenden sind langlebig. Und kein Staatsanwalt und kein Untersuchungsausschuß hielt es für nötig, den Anspruch einer »über jeden Verdacht erhabenen Untersuchung« wirklich einzulösen.
Dabei wäre es vielleicht ganz einfach gewesen, aller Mythenbildung von vornherein entgegenzutreten – allerdings zu einem hohen Preis. Es deutet einiges darauf hin, daß – wie schon bei der Vertuschung der verhängnisvollen Fahndungspanne von Erftstadt-Liblar – ein weiteres Versagen der Sicherheitsorgane bis heute streng geheimgehalten wird.
Es gibt zahlreiche Indizien dafür, daß die Gefangenen in Stammheim abgehört worden sind – und wenn nicht, muß man sich fragen, warum nicht. Rechtsstaatliche Bedenken können es nicht gewesen sein.
Als im Frühjahr 1977 bekannt wurde, daß in Stammheim Gespräche zwischen den Gefangenen und ihren Anwälten abgehört worden waren, sagte der verantwortliche baden-württembergische Innenminister Schiess, Grund seien die Lorenz-Entführung und der Anschlag auf die Deutsche Botschaft in Stockholm gewesen. Er würde »in vergleichbarer Situation wieder in gleicher Weise handeln müssen«. Die Abhöranlagen seien für einen möglichen Entführungsfall gedacht gewesen, um die Gespräche der Gefangenen untereinander vor einem eventuellen Austausch abzuhören.
Wenn es denn jemals einen Anlaß gegeben hätte, die technischen Möglichkeiten praktisch zu nutzen und die erklärte Absicht in die Tat umzusetzen, dann wäre das die Schleyer-Entführung gewesen – zumal es niemals einen offiziellen Hinweis darauf gegeben hat, daß die Anlagen nach der Aufdeckung des ersten Abhörskandals von Stammheim tatsächlich abmontiert worden waren.
Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß auch während der Schleyer- und der »Landshut«-Entführung die Gespräche der Gefangenen über die Kommunikationsanlage im siebten Stock – die kaum zu übersehen war – mitgeschnitten worden sind. Dann aber müßte es eine Tonbandaufzeichnung von der Stammheimer Todesnacht geben. Das aber wird von in Frage kommenden Stellen und Personen heftig bestritten, auf beiden Seiten.
Irmgard Möller müßte wissen, was Baader, Ensslin und Raspe – und möglicherweise sie selbst – vor den Selbstmorden besprochen haben. Doch sie bestreitet nicht nur, für ihre Stichverletzungen in der Brust selbst verantwortlich gewesen zu sein. Auch von Gesprächen über das Kommunikationssystem will sie nichts wissen. In einem langen Interview mit dem Journalisten Oliver Tolmein, das 2002 als Buch erschien, sagte Irmgard Möller: »Daß wir zeitweilig ein Kommunikationssystem über die Leitungen des Anstaltsrundfunks hatten, habe ich ja schon erzählt. Es ist auch richtig, daß der BND uns darüber abgehört hat … In der Zeit der Kontaktsperre gab es dieses System aber schon viele Monate nicht mehr. Wir hatten uns gedacht: Was soll eine so aufwendige Geschichte, wenn wir eh abgehört werden?«
Als der Interviewer sie auf die in den Zellen gefundene Kommunikationstechnik ansprach, antwortete Irmgard Möller: »Das ist alles sehr phantasievoll, macht aber keinen Sinn. Ich zum Beispiel hatte auf meiner Zelle gar keinen Verstärker.«
Das entspricht nicht der Wahrheit. In Irmgard Möllers Zelle 725 fand der Sachverständige, Diplomingenieur Otto Bohner, am Tag nach den Selbstmorden alles, was die Teilnahme am Kommunikationssystem der Gefangenen ermöglichte: einen Kopfhörer, mehrere Kabel, zwei Lautsprecherboxen, einen Philips-Plattenspieler mit Verstärker Typ 22 GF 351 / 04 – der gleiche Typ wie in den Zellen 716 (Raspe) und 720 (Ensslin).
Bis heute sehen sich die damals Verantwortlichen und die jetzigen Behördenchefs sowie die zuständigen Ministerien nicht in
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