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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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bescheiden leben, vielleicht ein Häuschen bauen oder kaufen. Ich las, dass man ein solches für zweihundert Dollar erwerben kann. Drei Räume nur, aber das wird für unser Glück reichen. Und sollte Gottes Gnade uns ein Kind bescheren, so bauen wir an.
    Wenn Du jetzt hier sitzt und liest, werde ich in wenigen Stunden bei Dir sein. Und habe Mut für die Reise, denn das Meer ist ja nicht nur tückisch, sondern es vermag uns auch an den Ort zu tragen, an dem wir beide zusammen leben werden, bis der Tod uns scheidet. Der Mann, der bald Dein Mann sein wird.
    Auf ewig Dein Karl-Heinrich.«
    Für einen Moment herrschte Schweigen.
    Emma fand als Erste in die Realität zurück: »So weit, so gut. Esther, bitte erkläre uns jetzt endlich, was es mit der Panne auf sich hat, die du erwähnt hast.«
    »Dieser Brief ...«, sagte Esther zögerlich. »Ich finde ihn wunderschön, und mir hat noch niemals jemand einen solchen Brief geschrieben. Und wahrscheinlich wird es niemals jemand tun. Irgendjemand wird nur fragen: Gehen wir meine Briefmarkensammlung angucken? Oder: Treffen wir uns bei mir, da quietscht das Bett nicht so? Irgend so einen Krampf.«
    »Esther!«, mahnte Emma heftig.
    Da presste Esther endlich hervor: »Sie hat aber diesen Brief nie bekommen! Irgendein Lackaffe hat vergessen, ihn ihr bei der Übergabe der Reiseunterlagen auszuhändigen. Das wichtigste Blatt Papier der beiden Liebenden lag hundertelf Jahre herum. Absoluter Wahnsinn.«
    Wieder herrschte Schweigen, wieder erholte sich Emma zuerst. »Wesendonker kam nicht nach Amsterdam«, murmelte sie versunken. »Warum ging er stattdessen hin und schlug Tutut tot? Hat jemand eine Antwort?«
    »Ich habe noch keine gefunden«, sagte Rodenstock. »Aber ich glaube, die Männer standen unter einem unheimlichen Druck. Und was wir von Wesendonker wissen, deutet nun nicht gerade auf einen Totschläger hin.«
    Dann räusperte er sich und setzte hinzu: »Der werfe den ersten Stein ...«
    »Was soll denn das?«, fragte Esther aggressiv.
    »Ganz einfach«, murmelte Rodenstock. »Du wirst niemals ein guter Kriminalist sein, wenn du nur darauf aus bist, einen Täter zu fassen und zu überführen. Wenn du den Druck nicht begreifst, unter dem ein Täter steht, wirst du niemals verstehen, was in seiner Seele vorging. Wir könnten es uns einfach machen, denn wir haben keinen Stress. Die Sache ist einhundertelf Jahre her, im Grunde könnten wir sagen: Wir wissen ungefähr, was abgelaufen ist. Damit soll es gut sein. Aber das reicht mir nicht.« Er lächelte schmal und griff nach Emmas Hand. »Da schreibt ein ganz normaler Mann einen für seine Zeit erstaunlichen Liebesbrief. Im Grunde zweifelt er vieles an, was die Gesellschaft, in der er lebt, wie eine heilige Kuh anbetet: Sitte, Moral, Anstand, Traditionen, starke soziale Empfindungen. Warum schlug dieser Mann Tutut tot? Das will ich wissen. Und ich will wissen, was aus ihm wurde. Wenn ich das biblische Der werfe den ersten Stein benutze, dann meine ich: Lasst uns verstehen lernen, nicht urteilen!«

7. Kapitel
    Die Versammlung löste sich auf, wir alle waren überdreht, übermüdet, und niemand hatte auf die letzten Worte Rodenstocks irgendetwas erwidert. Ich verzog mich in mein Arbeitszimmer und legte eine alte Louis-Armstrong-CD ein, auf der er mit einem Geigenschwall Nobody knows röhrt und die schönste Schnulze aller Zeiten singt: Oh what a wonderful world. Und dann mit ihm zusammen die unglaubliche Ella Fitzgerald, die mit einem Riesengelächter It's cold outside intoniert, wobei das Gelächter des Publikums mindestens die Hälfte der Aufnahme ausmacht. Dazu eine locker gestopfte Jeantet-Tubilee-75, die so qualmt, dass ich meinen Computer nicht mehr sehen kann. Dann der automatische Einschuss von SWR 3, der vor irgendeinem Stau bei Koblenz warnt, gefolgt von der Stimme eines glucksenden Moderators, der mit einem unbekannten Hörer redet: »Hör zu, Thomas, hör zu! Etwas Unglaubliches ist geschehen: Du hast gewonnen, du hast den ersten Preis gewonnen: Das Brustimplantat von Pamela Anderson. Ist das nicht fantastisch, Thomas? - Aber nur das linke, Thomas. Das rechte ist auf einem Tieflader unterwegs ins Heimatmuseum!« Meine Katzen kommen herein. Paulchen legt sich auf meinen Schoß und fängt zu schnurren an - vierter Gang. Ella singt Summertime ... an, Satchmo fällt ein. Oh, your daddy is rieh and your ma is good lookin ... Das, Leute, ist das kleine perfekte Glück in meiner Eifel.
    Irgendwann klopfte jemand zögerlich.

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