Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
zweimal in Amsterdam. Das erste Mal suchte er eine geeignete Reederei mit einem sicheren Schiff. Das zweite Mal machte er die Reise für sich und Maria Hansen fest und bezahlte sie auch. Deshalb das Codewort Rose, um ganz sicherzugehen. Er gab der Reederei einen Brief an Maria Slubik/Hansen. Der sollte Maria gegeben werden, wenn sie auftauchte. Der Grund war ganz einfach: Maria Hansen war viele Stunden vor Wesendonker in Amsterdam. Er hatte ihr zwar die Adresse einer soliden Pension gegeben, in der sie frei von Furcht übernachten konnte, aber er wusste auch, dass sie unendliche Angst in dieser Weltstadt haben würde. Ihr Leben hatte sich total geändert, und kein Tag der Zukunft war klar überschaubar – außer der Tatsache, dass Wesendonker von jetzt an an ihrer Seite sein würde. Aber bis Wesendonker auftauchen konnte, würde mindestens ein dreiviertel Tag, wenn nicht gar ein ganzer Tag vergehen. Und so schrieb er seiner Maria bei seinem letzten Aufenthalt einen Brief. Einen Liebesbrief.« Dann begann sie unvermittelt zu schniefen und strich sich über die Augen. »Verdammte Kralle, es ist ein Liebesbrief und so ein schöner! Also, ich lese ihn mal vor. Das Original konnten sie mir natürlich nicht mitgeben, weil das Papier so brüchig ist. Richtiges uraltes, dickes, sanftbraunes Papier. Und er hat so eine schöne Schrift gehabt. Und dieses blöde Vieh, dieser Bär ... Also, er schreibt:
    Geliebte Maria, mein Herzenswunsch!
    Ich habe mir hier im fernen Amsterdam zwei Talglichter gekauft und sitze nun in dem Zimmer, in dem wir in vier Wochen sitzen werden - vor dem Tag unserer Reise in eine neue Zukunft. Es gibt zwar schon vielerorten elektrisches Licht hier, aber in diesem Hause nur im Schankraum, nicht in den Schlafzimmern. Ich sitze hier an dem kleinen Tisch und versuche, einiges für Dich aufzuschreiben, weil ich doch weiß, dass Du hier die ersten Stunden allein sein wirst und Angst haben musst.
    Diese Stadt ist so groß, und kein Mensch hat Zeit für den anderen, wie es scheint. Dabei sind die Holländer ein durchaus freundlicher Menschenschlag, stets hilfsbereit, wenn ein Fremder nicht weiterweiß. Es ist aufregend in diesem Hafen, Du wirst es bald erleben. Du siehst Menschen aus aller Herren Länder und es ist keineswegs selten, dass fröhlich schwatzend Farbige an Dir vorüberlaufen, die hier so selbstverständlich zu Hause sind wie in der Eifel die Kühe auf der Weide. Du wirst schlitzäugige Menschen aus China oder aus Japan sehen. Sie kommen mit den Schiffen über die Weltmeere und bringen Güter mit, von denen unsereiner noch niemals etwas hörte.
    Hier in diesem Zimmer ist es sehr still, nur zuweilen dringt ein wenig Gesprächslärm aus dem Schankraum hinauf, aber meist ist nichts zu hören. Es ist die Noorderstraat am Noorderhaven, Du weißt das längst, mein Liebling. Es ist auch nicht anrüchig hier, keine leichten Dirnen und dergleichen, auch keine aufdringlichen Männer, die Dich ansprechen, ohne Dich zu kennen.
    Die Wirtin heißt Adrienne und stammt aus Marseille. Sie sagte mir, sie habe den Pierre Houven, ihren Mann, in einer ziemlich wüsten Schenke in Rotterdam getroffen, als sie mit ihrem Vater eine Reise machte. Und Pierre, der Teufel, wie sie ihn immer lachend nennt, habe kurzen Prozess gemacht und ihren Vater nach zwei Tagen um ihre Hand gebeten. Pierre war dann auf allen Meeren unterwegs, und sie arbeitete auf dem Fischmarkt. Und als er fünfunddreißig war, musterte er ab, und sie kauften sich günstig dieses Haus, das sie Boardinghouse nannten und Pension und Schenke. Im Schankraum sind Handwerker zu finden, Netzflicker, Heringsfischer, Bootsbauer, solide und fröhliche Männer eben.
    Natürlich konnte ich nicht widerstehen und habe die sogenannte Rote Meile besucht, draußen im Westen, wo die Dirnen und ihre Beschützer zu Hause und alle Schenken grundsätzlich Kaschemmen sind, in denen vierundzwanzig Stunden lang Musik gemacht wird und absonderliche Leute auftreten. Zum Beispiel eine Frau aus Casablanca mit zwei Köpfen und dann die dolle Minna, die den größten Busen der Welt entblößt und dergleichen Dinge mehr.
    Ich weiß nicht, ob die Frau aus Casablanca wirklich zwei Köpfe hat und der Busen der dollen Minna wirklich der größte der Welt ist. Ich war nicht in diesen Häusern, mein Geld ist dafür zu schade. Ich vermute einmal, es sind die üblichen Tricks, mit denen Schausteller durch die Lande ziehen. Ich erinnere mich, dass ein Mann in Gerolstein einen Affen mit zwei

Weitere Kostenlose Bücher