Der Ball von Sceaux (German Edition)
Anteil an dem Vermögen meines Vaters verzichtet, damit für mich ein Majorat gebildet werden kann. Mein Vater träumt von der Pairschaft, wie alle, die für das Ministerium stimmen. Er hat schon die Zusage, daß er ernannt wird«, fügte er leise hinzu. »Nachdem er schon einiges Kapital zusammengebracht hatte, hat sich mein Bruder mit einem Bankhause assoziiert; ich weiß, daß er ein Spekulationsgeschäft mit Brasilien unternommen hat, das ihn zum Millionär machen kann. Ich bin sehr froh, daß ich durch meine diplomatischen Beziehungen zum Erfolge beitragen konnte. Ich erwarte sogar ungeduldig eine Depesche der brasilianischen Gesandtschaft, deren Inhalt ihm die Sorgenfalten der Stirn glätten wird. Wie finden Sie ihn?«
»Aber das Gesicht Ihres Herrn Bruders sieht nicht so aus, wie das eines Mannes, der sich mit Geldgeschäften befaßt.«
Der junge Diplomat warf einen scharfen, prüfenden Blick auf das anscheinend ruhige Gesicht seiner Tänzerin.
»Wie denn«, sagte er lächelnd, »vermögen die jungen Damen auch Liebesgedanken hinter stummen Stirnen zu ahnen?«
»Ist Ihr Herr Bruder verliebt?« fragte sie mit einer neugierigen Gebärde.
»Jawohl. Meine Schwester Klara, für die er wie eine Mutter sorgt, hat mir geschrieben, daß er sich in diesem Sommer in eine sehr hübsche Person verliebt hat; seitdem habe ich aber nichts Weiteres über den Liebeshandel gehört. Würden Sie glauben, daß der arme Junge jeden Morgen um fünf Uhr aufgestanden ist und seine Geschäfte erledigt hat, damit er sich um vier Uhr nachmittags bei seiner Schönen auf dem Lande einfinden konnte? Deshalb hat er auch ein prachtvolles Rassepferd, das ich ihm geschickt hatte, zuschanden geritten. Vergeben Sie mir mein Geschwätz, gnädiges Fräulein, aber ich komme eben aus Deutschland. Seit einem Jahre habe ich nicht richtig Französisch sprechen hören, ich hungere nach französischen Gesichtern und bin übersatt von deutschen, so sehr, daß ich in meinem wütenden Patriotismus sogar, wie ich glaube, mit den Fabelfiguren eines Pariser Kandelabers mich unterhalten würde. Wenn ich außerdem mit einer für einen Diplomaten wenig passenden Offenheit rede, so liegt die Schuld an Ihnen, mein gnädiges Fräulein. Haben Sie mir nicht meinen Bruder gezeigt? Wenn von ihm die Rede ist, dann bin ich unerschöpflich. Ich möchte der ganzen Welt erzählen, wie gut und edelmütig er ist. Bei den Einkünften des Gutes Longueville handelt es sich um nicht weniger als um hunderttausend Franken.«
Wenn Fräulein von Fontaine diese Aufklärungen erhielt, so verdankte sie das zum Teil der Geschicklichkeit, mit der sie ihren vertrauensvollen Kavalier auszufragen verstand, nachdem sie erfahren hatte, daß er der Bruder ihres verschmähten Liebhabers war.
»War es Ihnen nicht peinlich, zu sehen, wie Ihr Bruder Musselin und Schirting verkaufte?« fragte Emilie nach der dritten Figur des Kontertanzes.
»Woher wissen Sie das?« fragte der Diplomat. »So sehr ich mich meinem Redefluß überlassen habe, so bin doch, Gott sei Dank, ebensogut wie alle Anfänger in der diplomatischen Karriere, die ich kenne, noch imstande, nicht mehr zu sagen, als ich will.«
»Doch, Sie haben es mir gesagt, ich versichere es Ihnen.«
Herr von Longueville betrachtete Fräulein von Fontaine voller Erstaunen mit einem durchdringenden Blicke. Ein Verdacht tauchte bei ihm auf. Nacheinander befragte er die Augen seines Bruders und seiner Tänzerin, ahnte den ganzen Zusammenhang, preßte seine Handflächen gegeneinander, erhob seine Augen zur Decke, fing an zu lachen und sagte: »Was bin ich für ein Dummkopf! Sie sind die schönste Dame auf dem Balle, mein Bruder blickt verstohlen nach Ihnen, er tanzt trotz seines Fiebers, und Sie tun, als ob Sie ihn nicht sähen. Machen Sie ihn glücklich,« sagte er, während er sie zu ihrem alten Onkel zurückführte, »ich werde nicht eifersüchtig auf ihn sein; aber ich werde mich immer ein bißchen fürchten, wenn ich Sie meine Schwester nennen soll ...«
Indessen schienen die beiden Liebenden sich unerbittlich gegeneinander zu verhalten. Gegen zwei Uhr morgens wurde ein kaltes Büfett in einer riesigen Galerie aufgetragen; damit sich die Personen desselben Kreises ungehindert zusammensetzen konnten, waren einzelne Tische, wie in einem Restaurant, aufgestellt worden. Durch einen Zufall, wie er immer Liebenden begegnet, fand Fräulein von Fontaine ihren Platz an einem Tische, der sich neben dem befand, an den sich die vornehmste Gesellschaft
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