Der Bann (German Edition)
aber …» Sie runzelte die Stirn. «Nein. Nein, ich denke, sie ist okay.»
«Das ist gut, Han. Das ist großartig. Hör zu, ich glaube nicht, dass jemand hier ist. Ich glaube nicht, dass irgendjemand hier sein
kann
. Trotzdem müssen wir vorsichtig sein. Wir lassen die Scheinwerfer aus, bis wir von der Straße sind, und wir fahren ganz langsam. Die Zufahrt beginnt gleich dort vorn. Wenn ich mich richtig erinnere, ist der Weg bis zur Brücke sehr holprig. Danach ist er eben. Wir parken auf der Rückseite des Hauses, damit niemand den Wagen von der Straße aus sehen kann.» Er stockte und presste die Luft zwischen den Zähnen hindurch, während er erneut sein Gewicht verlagerte. «Bist du so weit?»
Hannah blies die Luft aus den Wangen und nickte. «Hältst du das Fernglas für mich?»
Sie hielt es ihm hin. Spürte, wie seine Hand über ihre streifte. Seine Finger waren nass und klebrig. Ihre Kehle zog sich zusammen. «Nate, ist das Blut?»
«Nicht jetzt. Komm, weiter. Wir sind fast in Sicherheit.»
Sie musste es einfach wissen. Trotz seiner beruhigenden Worte und seines Zuspruchs war sie immer noch erschüttert von den Ereignissen des Abends. Sie musste wissen, womit sie es zu tun hatten, bevor sie weitermachten. Einem Impuls folgend, ging ihre Hand zur Deckenleuchte. Sie schaltete sie ein.
Ein Teil der Hoffnung, an die sie sich die ganze Zeit geklammert hatte, starb in diesem Moment, als sie erkannte, wie es wirklich um ihn stand. Sie biss die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten – fest entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sein Zustand sie erschreckte.
Er schwamm geradezu in Blut.
Seine Wolljacke war durchnässt. Der Stoff seines Hemdes glänzte und tropfte. Blut hatte sich in einer Lache zwischen seinen Beinen gesammelt und in den Vertiefungen des Sitzes. Es durchnässte seine Jeans.
Als sie den Blick hob und ihm in die Augen sah, konnte sie sich nicht mehr zusammenreißen. Sie schluchzte auf.
Er starb.
Es bestand kein Zweifel. Es war kaum noch Leben in ihm. Seine Lippen hatten sämtliche Farbe verloren. Seine Wangen, wo er sie nicht mit Blut beschmiert hatte, waren so weiß wie Milch. Trotz der kühlen Luft im Wagen standen Schweißperlen auf seiner Stirn.
Nate versuchte zu lächeln. «Ich denke, die Blutung lässt allmählich nach.»
Ihre Stimme zitterte. Sie hatte Mühe, nicht zu schreien. «Du musst in ein Krankenhaus, Nate.
Auf der Stelle!
»
Er schüttelte den Kopf. «Nein. Das geht nicht. Ich komme durch. Keine Angst. Ich verspreche es.»
«Nate, wir –»
«
Nein!
Hannah, hör mir zu.» Er stockte, und sie sah, dass er nach Luft rang. «Wir dürfen keinerlei Risiko eingehen. Du weißt es, ich weiß, dass du es weißt. Was aus mir wird, ist unwichtig. Wir müssen Leah schützen.»
Der Schrei drückte gegen Hannahs Kehle. Beim Klang von Leahs Namen drehte sie sich zu ihrer Tochter um, die auf dem Rücksitz schlief. Der Anblick ihres kleinen Gesichtchens, so glatt und zart und ernst, versetzte sie in Panik und führte gleichzeitig dazu, dass sie sich zusammenriss.
Er hatte recht – sie hatten keine andere Wahl. Doch wie sollte sie Nate in die Augen sehen und seine Worte ohne zu protestieren hinnehmen? Wie konnte sie sich zur Komplizin eines derartigen Opfers machen? Sie drohte innerlich zu zerreißen. Es gab nur zwei Menschen auf der Welt, die sie so liebte. Einen dem anderen vorzuziehen war undenkbar. Genauso wie die Alternative.
Nate nahm behutsam die Hand aus der Jacke und starrte auf seine blutigen Finger. «Das kann man überleben, Hannah. Glaub mir. Ich weiß, ich habe eine Menge Blut verloren. Mir ist klar, wie schlimm es aussieht, aber ich habe schon früher Verletzungen wie diese gesehen, und ich kann es schaffen, ich schwöre es dir. Solange wir nur bald ins Haus kommen.»
Hannah blinzelte die Tränen weg. Sie glaubte ihm nicht. Er war blass wie ein Geist. Doch sie schluckte endlich den Schrei hinunter und drehte den Zündschlüssel um. «Dann halt jetzt still, ja? Wir sind in ein paar Minuten da. Sitzt du bequem?»
«Machst du Witze?»
Sie zwang sich zu einem Lachen. Es klang wie ein Keuchen.
Sie löste die Handbremse, und der Geländewagen rollte langsam an. Sie glitten über den Kamm des Hügels und folgten der Straße auf der anderen Seite nach unten durch einen dichten Wald aus Fichten und Douglasien. Sie entdeckte die Abzweigung zur Linken und bog von der Straße ab.
Sobald sie die Straße hinter sich gelassen hatten, von allen Seiten umgeben
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