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Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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doch, in ihrer freudlosen Nüchternheit, standen die Worte zwischen uns wie eine Mauer. Ja, ich war wieder zurück.
    Besser ihr den Anfang überlassen, dachte ich und beobachtete ihre Hände, die mit dem Becher spielten. Die Finger waren lang und feingliedrig und gleichzeitig kräftig, ein Gegensatz, der sich auch anderweitig in ihrer Erscheinung spiegelte. Der schlaksige Jungmädchenleib war weiblicheren Formen gewichen, dennoch hatte sie sich ihre jugendliche Geschmeidigkeit und Anmut bewahrt.
    Hamid hatte recht, und ich musste es widerstrebend zugeben, sie war eine schöne Frau.
    »Und kehrst heim als Held.«
    »Als Held?«
    »Seit Jahren wird von nichts anderem geredet. Von Jerusalem und Sant Gille, vom Grab des Heilands und diesem neuen König Balduin. Von siegreichen Schlachten und den Scharen von Ungläubigen, die ihr vernichtet habt.«
    »Es wird gern übertrieben.«
    »Damals, als ihr alle auszogt«, fuhr sie fort, als habe sie mich nicht gehört, »wurden täglich Kerzen für euch angezündet. In allen Kirchen und im ganzen Land wurde ohne Unterlass gebetet, obwohl man lange Zeit wenig hörte. Gerüchte nur. Fast jede Familie hatte einen Sohn bei eurem Heerzug, und all diese Mütter starben tausend Tode vor Sorge. Dann kamen die ersten Heimkehrer, oft verwundet oder verkrüppelt. In ihren Augen konnte man das Grauen lesen. Doch in den meisten Familien wartete man vergebens. Langsam, oft erst nach Jahren, schwand die Hoffnung, jemals Sohn, Ehemann oder Bruder wiederzusehen, und immer nagte die Ungewissheit am Herzen.«
    »Warum reden wir von diesen Dingen?«, fragte ich ungeduldig. Hatten wir nicht Wichtigeres zu besprechen?
    Mich traf ein zorniger Blick aus grünen Augen. »Damit du weißt, wie es für die Menschen war, die ihr zurückgelassen habt. Für jemanden wie deine Mutter, die hoffte und bangte, die täglich von dir sprach, die in schrecklicher Ungewissheit gestorben ist. Hast du jemals an sie gedacht? Oder wie es ist, wenn Söhne heranwachsen, ohne zu wissen, ob sie noch einen Vater haben?«
    »Ich verstehe.«
    »Nichts verstehst du«, fuhr sie mir erregt über den Mund. Dann beherrschte sie sich und starrte auf den Becher in ihren Händen.
    »Es kommt der Tag«, sprach sie leise weiter, »da wird man es müde, zu warten und zu hoffen. Man findet sich am Ende mit dem Tod ab, denn der Tod ist barmherziger als diese quälende Ungewissheit.«
    In das Schweigen, das sich zwischen uns legte, drangen kleine Nachtgeräusche, ein Windstoß in den Bäumen, der Ruf eines Käuzchens draußen im Wald. Bertas Worte hatten mich getroffen, denn so hatte ich die Dinge noch nie betrachtet. Ich fragte mich in der Tat, warum ich so unempfindlich gegen den Schmerz meiner Mutter gewesen war. Warum hatte mich am Tag unseres Aufbruchs ihr versteinertes Gesicht so wenig gerührt?
    »Mit den Jahren verklärt sich das Bild der Toten.« Bertas Stimme klang, als führe sie ein Selbstgespräch. »Man verehrt sie als Helden, versucht, ihrem Tod einen Sinn zu geben. Haben sie nicht ihr Leben für Jesus gegeben? Für ihn und damit auch für uns? Durch solche Gedanken fühlt man sich schmerzlich, doch fast glücklich mit ihnen verbunden. Es wird einem warm ums Herz, wenn man die Kerzen anzündet und für ihre Seelen betet.«
    »Wie erhebend«, spottete ich.
»Ad dei gloriam.«
    »Was?«
    »Nicht auch du, Berta! Dieses fromme Geschwafel und der verdammte Weihrauch, mit dem die Pfaffen alles vernebeln. Zum Ruhme ihres verfluchten Gottes! Was meinst du, wie heldenhaft es ist, mit einem Schwert durch die Eingeweide in der eigenen Scheiße zu verrecken?«
    Ich war laut geworden, und Berta fuhr zurück, als hätte ich sie geschlagen. »Kein Grund, unflätig zu werden!«, fauchte sie.
    »Escusa«,
murmelte ich. »Aber die Wirklichkeit ist nicht erhebend, sondern einfach nur hässlich.« Ich nahm einen Schluck Wein. Aber er schmeckte nur noch flach und sauer.
    »Deinen Söhnen hat es viel bedeutet, einen Helden zum Vater zu haben«, sagte sie steif. »Du warst ihnen ein Vorbild.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt bist du nur ein Abenteurer, der es versäumt hat, heimzukehren.«
    »Warum hasst mich Raol?«
    »Eben deshalb!«, rief sie aufgebracht. »Er war stolz, ein Montalban zu sein. Er dachte, du hättest den Heldentod auf einem Schlachtfeld gefunden.«
    »Muss man tot sein, um geachtet zu werden?«
    »Nein, aber jetzt begreift er, wer du wirklich bist.« Sie lachte bitter. »Ein Mann, der seine Mutter nicht ehrt, dem die eigenen Söhne

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