Der Bastard von Tolosa / Roman
der Junge tatsächlich mein Sohn war. Ich machte den Mund auf, doch dann sah ich, dass ihre Augen sich wieder mit Tränen gefüllt hatten. Vielleicht war es doch nicht der rechte Augenblick.
»Martin war immer ein glückliches Kind«, flüsterte sie. »Aber mit Raol ist es anders. Er nimmt alles viel zu schwer. Ich weiß nicht, was ich falsch mache.« Mühsam unterdrückte sie ein Schluchzen.
»Gestern hast du ihn hart angefasst«, erwiderte ich. »Der Schimmel ist ihm mehr als wichtig. Du hast den Jungen erniedrigt.«
»Ich weiß.« Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. »Aber dieser verfluchte Borcelencs hat ihn verhext wie der Teufel in Person. Geschenke hier, Geschenke da. Aufenthalte auf seinen Gütern, Ritterspiele, Falkenjagden. Das hat dem Jungen den Kopf verdreht.«
»Warum Borcelencs heiraten, wenn du ihn nicht magst?«
Sie schwieg und sah auf ihre Hände. Es war ihr unangenehm, darüber zu reden, aber dann holte sie tief Luft und begann zu erzählen. »Nach dem Tod deiner Mutter war es für mich zuerst schwer. Aber später sind wir besser zurechtgekommen. Plötzlich begannen diese Schwierigkeiten im letzten Jahr. Scheunen brannten. Beim ersten Mal sah es so aus, als wäre es der Blitz gewesen. Doch es geschah immer wieder. Es war, als habe Gott uns mit Unglück geschlagen. Schließlich hatten die Leute einige Male aus der Ferne Fremde beim Feuerlegen beobachtet, die unerkannt verschwinden konnten. Ich habe mir monatelang das Hirn zermartert, wer dahinterstecken könnte.« Sie hob die Schultern in einer hilflosen Geste.
»Ich hätte ihnen aufgelauert«, sagte ich.
»Das hatte auch der alte Brunon vor.«
»Ist er deshalb umgekommen?«
»Man hat ihn im Wald gefunden. Viehdiebe angeblich. Wir waren alle sehr betroffen. Er wird mir noch lange fehlen.«
Sie sah mich niedergeschlagen an. Als ich ihren Blick erwiderte, schlug sie schnell die Augen nieder, als scheue sie sich vor allzu viel Nähe. Auch ich war plötzlich verlegen geworden.
»Wir konnten uns nicht schützen«, fuhr sie rasch fort. »Du kannst dir vorstellen, was es bedeutet, wenn die Ernte ausfällt und das Letzte, was man besitzt, in den Scheunen verbrennt. Die Leute hungern, und das Vieh kommt nicht durch den Winter. Ich hatte keine Wahl, als mich zu verschulden. Sollten als Nächstes die Kinder sterben?«
»Du hast richtig gehandelt.«
»Da kam Borcelencs wie ein Retter in der Not.«
»Und jetzt denkst du, er steckt dahinter?«
»Wer kann das wissen?«, sagte sie unschlüssig. »Ich habe seit gestern immer wieder darüber gegrübelt. Sein Werben war einfach zu hartnäckig, obwohl ich ihn nicht ermuntert habe. Die Borcelencs besitzen zehnmal mehr als wir. Ich bin weder reich noch jung. Was war ihm so wichtig an mir? Und dann sein Benehmen gestern. Hast du nicht gemerkt, wie besessen er war? Es gibt mir zu denken, dass etwas anderes dahinterstecken könnte.«
»Und meine Sterbeurkunde schon in der Tasche.«
»Davon wusste ich nichts, glaub mir.«
»Sie könnte ihm nützlich sein, wenn er sich beeilt. Da ich für alle Welt schon tot bin, kann er mich ungestraft beseitigen lassen und behaupten, ich sei ein Schwindler gewesen.«
»Glaubst du, er würde so weit gehen? Aber warum nur?«
»Eifersucht? Leidenschaft?«, spöttelte ich.
»Nicht für mich«, sagte sie entschieden. »Trotz seiner Schmeicheleien hatte ich nie den Eindruck, dass er mich begehrt. Nein, eine Frau spürt das, wenn es so wäre.« Sie runzelte die Stirn und dachte nach. »Raol hat er weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt als mir. Immer ging es um Raol. Warum hat er gestern nach so einer Abfuhr den Schimmel zurückgelassen?« Ihre Augen verengten sich. »Aber damit ist Schluss! Das Pferd kommt weg. Und andere Geschenke auch. Ich werde Peire damit beauftragen.«
»Wer ist eigentlich dieser Lambesc?«
»Ein Söldnerführer. Er kam auf Empfehlung.«
»Wir sollten die Wachmannschaft verstärken. Für alle Fälle.« Ich wagte ein Lächeln in ihre Richtung. »Jetzt, da ich hier bin, kann ich helfen, einiges ins Reine zu bringen.«
Sie seufzte. »Ich habe mich am ersten Tag dumm verhalten«, sagte sie verlegen. »Aber als du so plötzlich vor mir standest, als wärest du von den Toten auferstanden …« Sie zögerte. »Und ich habe das vorhin nicht so gemeint.«
»Was?«
»Dass du besser tot wärest. Ich hätte das nicht sagen dürfen.«
»Ich bin immer noch lebendig«, grinste ich.
Zum ersten Mal schenkte sie mir ein vorsichtiges Lächeln. Vielleicht
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