Der Bastard von Tolosa / Roman
ohnehin nichts tun.«
»Wen haben sie, verdammt! Spann mich nicht auf die Folter!«
»Es sieht nach der Alten aus, Drogos Magd.«
»Loisa! Sie lebt also noch.« Seine Miene sagte mir, es war noch schlimmer.
»Wen noch?«
»Rosa.«
»O mein Gott!«
Rosas Schicksal hätte mich nicht mehr berühren sollen als das der armen Loisa, und dennoch, jenes liebliche Kind in Ricards Gewalt zu wissen, war ein unerträglicher Gedanke. Gustau musste außer sich vor Sorge sein.
Hamids Gesicht war eine steinerne Maske.
»Noch mehr?«, flüsterte ich.
Er schlug die Augen nieder und nickte. »Sie haben wahllos Gefangene gemacht. Von den Höfen ringsum.« Er schluckte. »Und darunter …«, er sah auf, und seine Augen waren voller Trauer, »… ist dein Sohn Ramon.«
Hamid und ich starrten einander lange an, beide ahnend, dass Roberts Fehde von nun an eine neue Richtung genommen hatte, denn mit der Geiselnahme hatten sie den Spieß umgedreht.
Und so begann nur wenige Stunden später, was allen in Rocafort für immer als die Nacht des Horrors in Erinnerung bleiben sollte.
***
Von alters her feiern Menschen die Sommersonnenwende. Ein ausgelassenes Fest, das leider bei den Christen in Verruf geraten ist. Wahrscheinlich, weil es oft allzu ausgelassen hergeht. Obwohl die Kirche es verboten hat, halten sich die Bauern selten daran. Aus diesem Grund und weil der Tag des Täufers Johannes zeitlich ähnlich liegt, erlauben die Priester neuerdings, zu Ehren des Heiligen und am Vorabend seines Geburtstags die alten Bräuche der Mittsommernacht zu begehen. Das ist
la noit de Sant Joan,
die Johannisnacht.
Ringsum von den Bergkuppen leuchten dann die Feuer, und für die Priester künden sie von Christus, so wie Johannes von der Ankunft des Messias als dem Licht der Welt gepredigt hatte. Deshalb sei das reinigende Feuer das
signum
des Heiligen. Für das Bauernvolk jedoch haben die lodernden Feuer, um die sie tanzen, eine ganz andere Bedeutung. Nach alter Sitte sollen sie die Dämonen vertreiben, die uns Hagel, Krankheit, Rinderpest und missgestaltete Kinder bringen. Und wie so oft mischt sich Christliches mit heidnischem Brauchtum.
Ich erzähle dies, denn just in dieser Nacht war
Sant Joan
zu begehen, und Ricard hatte entschieden, dem Fest noch eine dritte, für alle schreckliche Bedeutung zu verleihen.
Während des ganzen Nachmittags hatten sie uns in beklommener Unsicherheit schmoren lassen. Stundenlang hatten wir auf den Wehrgängen gestanden und zu den Gefangenen hinabgestarrt. Neben Loisa, Rosa und meinem armen Sohn Ramon befanden sich vier junge Bäuerinnen in ihrer Gewalt, ein gefesselter Mann, dessen Gesicht wir nicht erkennen konnten, denn sie hatten ihn vermummt, außerdem einer der Hirten und schließlich auch noch die unglückliche Müllerin Marta, Ramons Ziehmutter. Sie alle wie Tiere in diesem Käfig zu sehen, machte mich krank vor Sorge. Entsetzliche Ahnungen überfielen mich, denn allzu gegenwärtig war noch das Bild jenes grausam zugerichteten Griechen, wie er von der Burgmauer des Mons Pelegrinus gehangen hatte.
Botschaften der Hoffnung hatten die Unsrigen den Geiseln zugerufen, doch außer Jammern und Wehklagen wenig Antwort erhalten. Besonders der sonst so schweigsame Gustau hatte unermüdlich seiner Rosa zugeschrien, wie sehr er sie liebe, doch inzwischen war er heiser geworden und starrte nur noch schweigsam hinunter. In der Stille des frühen Abends hörte man nichts mehr außer den Raben und Krähen, die an den Leichen vor der Mauer zerrten. Der leichte Sommerwind trug den Gestank der verwesenden Leiber zu uns, der wie eine Wolke der Verdammnis über der Burg hing.
Im letzten Licht des schwindenden Tages entschied Peyregoux endlich, seine Aufwartung zu machen. Es begann harmlos genug mit einer weißen Flagge und der höflichen Bitte um eine Verhandlung. Doch mein Herz bebte in Vorahnung dessen, was uns erwartete.
Auf einem hellen Fuchs ritt er frech, weder Schild noch Helm tragend, zur Burg herauf, wohl wissend, dass kein Pfeil ihn treffen würde, dass die Geiseln in diesem verdammten Käfig ein besserer Schutz als jeder Schild waren. Der stiernackige Duran und der kleine Leon, seine beiden Totschläger, ritten an seiner Seite und seltsamerweise auch Roberts
escudier,
jener blonde Jüngling, der mir schon vorher aufgefallen war. Zehn Schritte vor dem Tor zügelten sie ihre Reittiere.
»Du bist wohlauf, wie ich sehe«, grüßte er mich und lachte gehässig.
»Nicht dank dir, du heimtückische
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