Der Bastard von Tolosa / Roman
Ramon, den Krüppel.
»Lasst sie nicht entkommen, bei Allah!«
Hamids Stimme drang schwach in mein Bewusstsein. Dann Pfiffe und das Klatschen von Riemen auf Pferdeflanken und sich entfernender Hufschlag. Es dauerte, bis ich mich von meinem toten Kind losreißen konnte. Ich war so unendlich müde. Den Leichnam betteten wir ins Gras und erhoben uns langsam. Berta wollte mich nicht loslassen. In ihren Augen stand immer noch die Angst der letzten Stunden.
In der Ferne konnte ich Hamid, Jaume und Severin ausmachen, die zwei Reitern nachjagten. Robert und sein blonder Engel hatten die Flucht ergriffen.
Luis, der Knecht, hielt Ghalib am Zügel und reichte mir mein Schwert. Ich schnallte Ghalibs Brustschutz ab und untersuchte seine Wunde. Er scheute, als ich sie berührte, aber ich sah, dass es weniger schlimm war, als ich angenommen hatte. Die Kettenringe hatten die Axt abgefangen. Ich streichelte seinen Hals und legte kurz mein Gesicht an seine lange Nase, um ihm für seine Treue zu danken. Ein Schlachtross ist mehr als nur ein Reittier. Und Ghalib hatte sich heute als mein wahrer
companh
erwiesen.
»Berta, die Sache ist noch nicht zu Ende.«
Damit schwang ich mich in den Sattel und folgte den anderen, wenn auch in einer gemächlicheren Gangart, denn ich wusste, die Flüchtenden würden Hamid nicht entkommen.
Unweit des Dorfes hatten sie die beiden schon gestellt. Ein gut gezielter Pfeil hatte Roberts Gaul verletzt, so dass er heftig lahmte. Der junge Jordan hatte sich nicht davongemacht, sondern war an der Seite seines Herrn geblieben. Robert selbst saß mit düsterer Miene am Wegrand, Severins Schwert im Nacken, während Jaume ihm die Hände auf den Rücken band. Sie hatten ihm den Helm abgenommen, und sein Haar, sonst so gepflegt, hing ihm wirr in die Stirn.
»Auf die Knie!«, schrie Jaume. Und als Robert ihm Folge leistete, stieß er ihn mit der Faust in den Rücken. »Und beug dich vor unserem
Castelan!
«
Aber das tat er nicht. Ruhig sah er zu mir auf. Er wusste, dass er keine Gnade von mir zu erwarten hatte, aber er behielt seine Würde. Wie ein Spieler, der alles auf einen Wurf gesetzt und dann verloren hat, so schien er entschlossen, sein Schicksal mit Fassung zu tragen.
Lange starrten wir uns gegenseitig an.
»Es gibt kein Testament«, sagte ich schließlich. »Odo hat es zerstört.«
Ich weiß nicht, warum ich dies sagte. Eine plötzliche Eingebung. Oder vielleicht wollte ich ihn nur quälen.
Robert runzelte die Stirn. »Kein Testament?«
»Nein. Du bist einem leeren Traum nachgejagt, der sich nie hätte erfüllen können.« Er senkte den Blick und schluckte. »Alles für ein Pergament, das es nicht gibt«, fügte ich verächtlich hinzu. »So viele Tote für nichts.«
»Bist du sicher?« Er sah mich ungläubig an.
»Odo wusste, nur Übles würde daraus erwachsen«, fabulierte ich drauflos. »Warum denkst du, dass er mich so lange von diesen Dingen ferngehalten hat? Er wollte alles vergessen machen. Niemand sollte je daran rühren. Am wenigsten ich und meine Familie.«
Robert dachte eine Weile darüber nach. Dann hob er die Augen und nickte. »Vielleicht weiser.«
»Jedenfalls weiser als dein Vater, der die Gier in dir geweckt hat.«
»Nein«, erwiderte er. »Nicht mein Vater.« Mehr sagte er nicht dazu. Stattdessen sah er mir offen in die Augen. »Und nun willst du mich töten, obwohl ich unbewaffnet vor dir knie.« Er sprach beherrscht und mit mehr Mut, als er während des
tornei
gezeigt hatte.
»So waren die Regeln. Ich habe gesiegt, und du musst mit deinem Leben bezahlen.« Neben uns hörte ich, wie Jordan aufschluchzte und sich die Nase wischte. Seine Tränen rührten mich wenig, denn ich dachte an das Leid und die vielen Toten, die diese unsinnige Fehde gekostet hatte.
»Was ist mit Barmherzigkeit?«, fragte Robert.
»Bettelst du etwa um dein Leben?«
»Das Gebot Jesu. Bist du nicht ein Ritter Christi?«
»Du sprichst von Barmherzigkeit?«, fragte ich aufgebracht. Die Wut stieg in mir empor. »Kerle wie du haben das Gebot der Liebe mit Füßen getreten und in eine Lehre des Hasses verwandelt. Sie haben sich im Namen Christi über andere Völker erhoben, sinnlos gemordet, erobert und alles unersättlich in sich hineingefressen. Und Dummköpfe wie ich haben ihnen auch noch dabei geholfen. Barmherzigkeit?« Ich lachte bitter. »Du meinst, du verdienst Barmherzigkeit? Ich sage dir, es gibt nur eine Barmherzigkeit, nämlich die Welt von Heuschrecken wie dich zu befreien. Hast du
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