Der Bastard von Tolosa / Roman
der junge Jaufré, der mein Patenkind ist.«
»Was ist mit ihm?«
»Ich weiß, er hat schon viel bei Drogo gelernt, aber nicht genug.« Ich sah Albin eindringlich an. »Gicht oder nicht, du musst zurück in die Schmiede, alter Mann! Bring ihm alles bei, was du deinen Sohn gelehrt hast, alles, was du weißt. Das Leben geht weiter, und wir brauchen einen guten Schmied.«
»Ist mir schon klar, Herr«, antwortete er und nahm noch einen Schluck, auf dem er genüsslich kaute. »Er ist ein guter Junge. Nicht so stark wie sein Vater, aber er hat einen klugen Kopf. Der wird vielleicht noch besser als Drogo.« Dann schüttelte er seinen greisen Schädel und seufzte.
Während wir den Wein kosteten, war mir aufgefallen, dass die alte Elena um uns herumstrich, aber so tat, als sähe sie mich nicht. Lange redete sie mit einer Bäuerin. Als diese ging, um sich zu den Frauen zu gesellen, war sie unbeweglich in Betrachtung der Gänse versunken, die ich in Cubaria gekauft hatte und die auf der Wiese an den Grashalmen zupften. Sie kehrte uns den Rücken zu, und dabei hörte ich sie Unverständliches murmeln, als wolle sie sich eine Rede zurechtlegen. Es war augenscheinlich, dass sie etwas auf dem Herzen hatte und sich nicht recht traute, es anzusprechen.
»Elena«, sprach ich sie schließlich an. »Wie geht es dir heute?«
Erschrocken fuhr sie herum und fingerte verlegen an ihrer Haube. »Wie soll es einem gehen, Herr?«, erwiderte sie. »Nach diesen schrecklichen Dingen, die hier geschehen sind. Es wird lange dauern, bis wir wieder so lachen können wie früher.«
»Das ist sicher wahr.«
»Senher …«
Sie rang nach Worten.
»Was ist?«, fragte ich freundlich. »Sprich mit mir.«
Sie zögerte immer noch, aber fasste sich schließlich ein Herz. »Ich wollte Euch danken, Herr.«
»Mir danken? Aber wofür?«
»Dass Ihr für uns alle gekämpft habt, Ihr und Eure Freunde. Ihr habt Euch vor uns gestellt, obwohl es bös hätte ausgehen können. Wie dieser Wegelagerer, der sein Leben verloren hat. Und unser armer Drogo.«
Sie holte tief Luft. Dass Bewaffnete oder gar Herrenvolk sich für einfache Leute einsetzten, das schien ihr nicht so recht in den Schädel zu wollen, denn sie schüttelte lange den Kopf und sah mich dabei mit großen Augen an. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, und ich will es Euch hoch anrechnen, Herr, wenn Ihr erlaubt, dass ich das sage.«
»Es ist doch auch mein Dorf, vergiss das nicht.«
Elena sah auf ihre Füße. Da war anscheinend noch mehr.
»Vielleicht habe ich Euch unrecht getan«, sagte sie ein wenig unsicher, »denn gewiss hattet Ihr damals recht, meinen Bennot mitzunehmen. Irgendjemand musste ja gegen die Heiden kämpfen, oder?« Sie sah mich mit feuchten Augen an. »Er hat Euch doch geholfen, das Grab des Heilands zu befreien, ist es nicht so, Herr? Er ist für Gott gestorben, mein Bennot, nicht wahr?« Sie schluchzte so herzzerreißend, dass ich meine Arme um sie legte. Meine Kehle war wie zugeschnürt, und ich brachte kein Wort hervor. »Sagt mir,
Senher
«, flehte sie klagend, »dass er ehrenvoll gestorben ist und dass Gott ihn zum Lohn in sein Himmelreich genommen hat.«
»Ja, Elena«, raunte ich ihr heiser zu. »Er ist ehrenvoll gefallen. Vor den Mauern Jerusalems. Und nun sitzt er an Gottes Seite.«
Elena glaubte meinen tröstenden Worten. Sie schneuzte sich an ihrem Rock. Dann lächelte sie zaghaft und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Danke für diese Kunde, Herr«, sagte sie, und es kam mir vor, als stünde sie ein wenig aufrechter. »Mein Bennot hat sich für Jesus Christus geopfert. Deshalb will ich nicht klagen.« Sie drückte meinen Arm. »Und ich bin froh,
Senher,
dass der Herrgott Euch das Leben erhalten hat, dass Ihr wieder unter uns weilt. Dafür habe ich mich heute in der Kirche bedankt.«
Sie lächelte noch einmal zaghaft und wanderte dann erhobenen Hauptes zu ihrer Hütte am Dorfrand. Ich biss mir auf die Lippen. Möge Gott mir verzeihen, dachte ich, denn ich schämte mich für meine Lüge. Aber wie hätte ich sagen können, dass ihr Bennot eines unwürdigen Todes gestorben war, im eigenen Unrat verreckt, verscharrt in einem Massengrab, ohne Salbung und ohne Kreuz, als eines der vielen Opfer der Seuche vor den Toren Antiochias. Ein Tod ohne Sinn und Bedeutung, für den allein ich die Verantwortung trug.
Als ich ihr nachsah, wanderten meine Gedanken zu Sant Gille in seinem
sarcophargus
auf der Burg Mons Pelegrinus. Wie unterschiedlich das Schicksal
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