Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
Vom Netzwerk:
will ins Dorf reiten. Vielleicht haben die Bauern etwas gesehen. Wenn nicht, dann suchen wir das umliegende Land nach Spuren ab, bevor es dunkel wird.«
    Wo konnte sich ein elfjähriges Mädchen verstecken? Die Türken hatten die Pferde mitgenommen. Also konnte sie zu Fuß nicht weit gekommen sein. Wenn man sie nicht entführt hatte, was viel wahrscheinlicher war, denn Adela war ein hübsches Mädchen und würde in wenigen Jahren zu einer Schönheit heranwachsen. Die Seldschuken konnten auf einen guten Preis hoffen, wenn sie das Kind an den
haeraem
eines Emirs verkauften. Die Tochter eines fränkischen Ritters. Mehr wert als alles andere, was sie in meinem Haus geplündert haben mochten.
    Grimmig zog ich den Sattelgurt nach und ergriff die Zügel. »Und nehmt, um Gottes willen, den Jungen mit. Lasst ihn nicht bei seiner toten Aisha.«
    Ich saß auf, und wir trabten durchs Tor hinaus. Auf dem Weg über die Felder war ich wie erstarrt. Im Geist erschienen mir die hasserfüllten, Feuer sprühenden Augen der Alten aus dem Bekaatal, und ich vermeinte ihre heisere Stimme zu hören, wie sie mich verhöhnte.
    Das Dorf, zu dem wir uns begaben, war eines jener wehrhaften Siedlungen der Gegend, auf einer Anhöhe gelegen und von dicken Mauern umgeben, zwischen die sich die steinernen Hütten zwängten. In seiner Mitte ragte das Türmchen einer Kapelle empor. Sie bekannten sich hier zu dem maronitischen Glauben. Der Ort gehörte zu meinem Lehen, aber außer regelmäßigen Lebensmittellieferungen, die im Umfang den Bedürfnissen einer Mannschaft von zehn Reitern und ihren Tieren entsprachen, verlangte ich keine weiteren Abgaben. Das war das Geringste für ein Dorf dieser Größe, und neben der Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit bezeugte dies nach unserem Brauch meine rechtmäßige Gewalt und Leibherrschaft über die Leute der Siedlung. Wir Provenzalen waren dabei, in Outremer unser Herrschaftswesen einzuführen, aber dabei wollte ich behutsam vorgehen. Als Gegenleistung hatten die Bauern sich um meine Olivenbäume und Weinberge zu kümmern, von deren Erträgen sie einen Teil behalten durften. Um diese Dinge hatte sich mein Verwalter Konstantinos gekümmert. Manchmal war Noura in der Dorfkirche zum Beten gewesen. Im Großen und Ganzen waren wir gute Nachbarn geworden.
    Ich hatte erwartet, auch hier Spuren von Plünderung und Verwüstung zu entdecken, aber alles schien ruhig.
    Ich blickte mich um. Viel zu ruhig, fuhr es mir durch den Sinn, denn für gewöhnlich sah man arbeitende Bauern auf den Feldern ebenso wie Vieh auf den Weiden. Heute lagen die Äcker und Wiesen verlassen da. Auch im Dorf schien sich nichts zu regen. Würden wir auch hier Tod und Plünderung vorfinden?
    Die Sonne stand schon tief und warf lange Schatten. Nach getaner Arbeit hatten die Bauern gewiss ihr Vieh heimgeführt und würden sich bald zur Vesper in der kleinen Dorfkirche versammeln. Das musste der Grund für die Stille sein. Wir näherten uns und konnten immer noch keine Seele entdecken. Sogar die üblichen Geräusche waren nicht zu hören. Obendrein war das Tor verrammelt.
    Auf fünfzig Schritt Entfernung hieß ich unseren Trupp anhalten. Es war schon genug in diesen Tagen durch Unbedachtheit geschehen, und ich wollte keinen zweiten Hinterhalt riskieren. Mit den Händen als Trichter vor dem Mund forderte ich mit lauter Stimme Einlass.
    Zunächst geschah nichts. Dann lugten Köpfe vorsichtig über die Mauern. Männer mit rostigen Speeren und Heugabeln und ein paar Bögen. Sie musterten uns misstrauisch. Unter ihnen erkannte ich den weißhaarigen Schopf eines Alten. Er rief etwas auf Aramäisch, das ich zwar nicht verstand, aber ich erkannte in ihm den Dorfältesten. Aniketos hieß er, so glaubte ich mich zu erinnern. Die Türken hatten das Dorf also nicht in die Hand bekommen, und es war kein Hinterhalt zu befürchten. Ich stieg vom Pferd, trat ein paar Schritte vor und breitete meine Arme aus, um zu zeigen, dass wir in Frieden kamen.
    »Mach auf, Aniketos«, rief ich laut. »Du kennst mich. Ich bin dein Herr, Jaufré Montalban.«
    Ich sah, wie andere auf den Alten einredeten, er aber noch zögerte.
    »Hamid. Sag ihm, er soll keine Angst haben. Meine Männer sind hier zu seinem Schutz. Sie werden dem Dorf nichts tun. Sag ihnen, wir suchen meine Tochter.«
    Worte flogen hin und her. Auf der Mauer dauerte das Gerede noch einige Augenblicke an, doch schließlich öffnete sich langsam das altersgraue, aus dicken Eichenbohlen gezimmerte Tor. Der

Weitere Kostenlose Bücher