Der Bastard von Tolosa / Roman
Stumpf ist verfault.« Ich wischte mir die Nase am Ärmel ab. »Schließlich haben sie ihm den Arm abgehackt und die Wunde mit heißem Teer ausgebrannt. Und dann ist er gestorben.« Ich ließ die Schultern hängen. Neue Tränen liefen mir heiß über die Wangen.
»Jetzt ist es aber genug, Jaufré, verfluchte Scheiße!«
Ich starrte ihn an. Warum war er so wütend?
»Deine verdammte Hand ist immer noch dran«, knurrte er. »Also rede dir nichts ein. Das Leben geht weiter!« Er holte tief Luft, lehnte sich zurück und starrte aus dem Fenster in die Nacht. »Tut mir leid, Jaufré. Ich wollte dich nicht anschreien. Mir kam nur die Erinnerung …«
Hamid sprach nicht gern von seiner Vergangenheit, obwohl ich die Geschichte kannte. »Es war damals, als hätte man mir bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust geschnitten. Wäre ich nicht gefesselt und eingekerkert gewesen, ich hätte mich umgebracht.« Sein Gesichtsausdruck war grimmig, mit tiefer Furche auf der Stirn, die Lippen zusammengepresst, während er die alten Gefühle zu erforschen schien. Dann entspannten sich seine Züge, und er legte mir die Hand auf den Arm. »Aber wie es sich jetzt auch anfühlt, mit der Zeit verheilt die Wunde. Das wollte ich dir heute sagen.«
Als jüngster Sohn eines Kaufmanns aus Damaskus hatte Hamid ein reiches und sorgloses Leben geführt. Die Mutter war eine dunkelhäutige Schönheit gewesen, eine nubische Sklavin, die der Vater besonders geliebt und zur Nebenfrau erhoben hatte, wie auch Hamid des Vaters Liebling unter den vier Söhnen gewesen war. Er hatte Schreiben und das Führen der Bücher gelernt, Vater und Brüder auf Reisen begleitet. Er studierte den Koran, die altgriechischen Philosophen und kannte sich in persischer und arabischer Dichtung aus. Ein glückliches Leben schien vorgezeichnet. Er würde in die Fußstapfen des Vaters treten und den Wohlstand der Familie mehren.
Sein Unglück war, sich in die scheue, junge Frau eines alten, aber mächtigen Mannes zu verlieben. Er hatte sie eines Tages vom Dach des väterlichen Hauses unverschleiert im Nachbargarten erspäht. Nach Monaten heimlichen Werbens wurde es beider große Liebe, immer begleitet von Schuldgefühlen und der Furcht vor Entdeckung. Und wie so oft tritt nicht ein, was man sich wünscht, sondern was man am meisten fürchtet. Der Verrat eines gekränkten Sklaven, die Falle des betrogenen Ehemannes und die erforderlichen vier Zeugen besiegelten vor Gericht ihr Schicksal. Dank des einflussreichen Vaters fiel Hamids Urteil mit dreißig Hieben und Galeerendienst auf Lebzeiten noch milde aus. Dennoch, als Sohn einer angesehenen Familie musste er es ertragen, vor dem Volk im Staub kniend wie ein Hund gezüchtigt zu werden.
Aber das war nichts im Vergleich zur Steinigung seiner Geliebten durch die erregte und geifernde Menge. Vor seinen Augen war die schöne Frau, aus vielen Wunden blutend und von allen verhöhnt, eines elenden Todes gestorben. Mit dem Tod musste sie ihre Liebe sühnen und er mit den Ketten an der Ruderbank eines Kriegsschiffes. Aus dieser Zeit stammten seine starken Schultern und Armmuskeln. Sein Rücken war ein Gewebe von silbrigen Narben und Malen. Sie hatten ihm das halbe Ohr abgeschnitten, um ihn als Verbrecher zu zeichnen, und auf der Schulter trug er ein hässliches Brandmal, das ihn als Sklaven des Emirs von Tripolis auswies, an den man ihn später verkauft hatte. Doch die Narben seines Leibes trug er mit einer Art trotzigem Stolz.
»Und bilde dir nicht ein, dass nur du um Noura trauerst.« Ich sah verwundert, dass er feuchte Augen hatte. »Sie erinnert mich an meine Schwester. Die Einzige meiner Familie, die ich wirklich vermisse.«
Nur die Schwester hatte ihn in der Kerkerzelle besucht. Auch das heimlich, denn der Rest des Klans hatte sich abgewandt von ihm, der in ihren Augen die Ehre der Familie besudelt hatte. Von einem Tag zum anderen war er ein von allen geächtetes Stück Vieh geworden, ein rechtloser Sklave, ausgestoßen aus der
ummah,
der Gemeinschaft der aufrechten Gläubigen.
Wir waren uns in Tortosa begegnet, einer kleinen Stadt, nördlich von Tripolis. Sein Schiff hatte dort im Hafen gelegen, wo er und andere Sklaven die Mole ausbessern sollten.
Damals, im Februar 1099 auf dem Weg nach Jerusalem, ritt ich unter Raimon Pilet, und unser Auftrag war, diesen Hafen zu sichern. Für eine Belagerung waren wir zu wenige, aber in der Nacht hatten wir uns angeschlichen und rings um die Stadt Feuer angezündet, um eine große
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