Der Bastian
Sauberkeit einer Frau aus, die jeden
Augenblick damit rechnet, daß ihr etwas Unvorhergesehenes zustoßen könnte. Ihr
fast faltenloses, ostisches Gesicht glühte vor mühsam gezügelter Streitlust.
Wie eine Leidende sah sie nicht aus.
»Grüß dich, Martha«, sagte er ungewiß in den
Raum.
Sie nahm die Brille ab und lachte. »Der Bub ist
da.«
Bastian ging an ihr Bett und küßte sie auf den
Kopf. Sie duftete nach Baldrian und Kölnisch Wasser. Er wickelte seine
Margeriten aus und dachte, ich hätte doch zwei Bund zu vier Mark nehmen sollen.
Er wollte den Strauß zu den anderen Blumen stecken, die schon auf ihrem
Nachttisch standen, aber Großmutter hinderte ihn daran.
»Im Krankenhaus muß jeder Strauß seine eigene
Vase haben, egal, wie spillrig er ist.«
Dann stellte sie ihn den anderen Betten vor.
»Das ist Bastian Guthmann, mein Enkel. — Frau Schüssle — Frau Kynast. Bastian,
sag den Damen guten Tag!«
Bastian begrüßte zuerst Frau Schüssle (etwa 45)
und dann Frau Kynast (schon alt). Frau Kynast sagte: »Gestern hatte ich
Geburtstag. Ich bin aus Gleiwitz.«
Bastian sagte: »Herzlichen Glückwunsch.«
Großmutter sagte: »Du mußt schreien. Sie ist
taub wie eine Nuß.«
Bastian schrie: »Herzlichen Glückwunsch
nachträglich!« Frau Kynast nickte: »Jaja, aus Gleiwitz.«
Darauf zog er sich lächelnd zu Großmutters Bett
zurück, schon ziemlich erschöpft. »Wie geht’s dir denn?«
»Ach, gut soweit. — Hast du deine Klausuren
geschrieben?«
»Ja. Hab’ ich.«
»Na und?«
»In den nächsten Wochen kriege ich Bescheid.«
»Achgottachgott!«
»Es wird schon schiefgehen«, beruhigte er sie.
»Aber nun erzähl mal — wie war die Operation?«
»Stell dir vor, Bub, sie geben einem eine
Spritze, und eh man denkt, nun geht’s los, ist es schon vorbei.« Sie beugte
sich vor und flüsterte: »Ich bin nicht einmal sicher, ob sie mich überhaupt
operiert haben. Wie soll man das nachprüfen, wenn man schläft? Aber bezahlen
muß ich.«
»Ja bist du denn in keiner Kasse?« fragte er
erschrocken. »Nein. Wozu? Soll ich die Versicherungen reich machen, wo ich
bisher mit Baldrian ausgekommen bin!?«
Frau Kynast sagte: »Schwester Theresa ist auch
aus Gleiwitz«, und sah Bastian dabei an.
Bastian brüllte: »Aha.«
Frau Kynast sagte: »Die jungen Schwestern taugen
nichts. Sie schimpfen, wenn man Soße aufs Bett kleckert. Weil sie zu faul sind,
einen neu zu beziehen.«
»Aber der Chefarzt ist nett«, sagte Frau
Schüssle. »Er hat das Majestätische.«
»Und das Fräulein Doktor Freude ist nett«, sagte
Großmutter.
»Hat sie auch das Majestätische?«
»Sie hat schöne Augen«, sagte Großmutter.
»Das Essen taugt nichts«, sagte Frau Schüssle.
»Ganz billige Wurst gibt’s, und der Kaffee schmeckt wie fünfundvierzig.«
In diesem Augenblick kam Schwester Theresa aus
Gleiwitz herein, und Bastian mußte auf den Flur.
»Typisch Kynast!« schimpfte Großmutter. »Kaum
kriegt man Besuch, muß sie auf die Schüssel.«
Bastian stand auf dem Gang herum. Eine Frau
wischte den Fußboden immer dort, wo seine Füße gerade waren. Um eine Flurecke
sauste ein Bett auf Rädern, begleitet von silberhellem Gesang:
»Zwei Apfelsinen im Haar
und an der Hüfte Banaaanen —
Lalalalalala...«
Eine ganz junge Lernschwester schubste das Bett
vor sich her im Takt zu ihrem mexikanischen Geträller. In dem Bett lag eine
gelbgesichtige Frau ohne Zahnprothesen, ein bestürzender Anblick für einen wie
Bastian, der keinen täglichen Umgang mit Frischoperierten hatte.
Es reichte ihm. Er wollte raus hier, bloß raus,
und das so rasch wie möglich. Die beklemmende Krankenhausatmosphäre. Frau
Kynast und noch eine Bahre mit Musik! Er war geschafft. Wie von Bakterien
gejagt, rannte er den Flur hinunter und mußte sehr scharf bremsen, um nicht
einen weißen Kittel zu überfahren, der ihm von rechts in den Weg trat — mit
einer Spritze in der Hand.
»Na, na!« sagte der Kittel.
Bastian wußte später nicht mehr, was es zuerst
gewesen war. Auf keinen Fall die Spritze und auch nicht der Kittel. Er gehörte
nicht zu den Leuten, die auf weiße Kittel standen. Im Gegenteil.
Es gelang ihm nachträglich nicht einmal, sich
präzis an die Ärztin zu erinnern, die ihn getragen hatte.
Sie war eher klein. Er liebte große Frauen.
Kurze, helle Kinderhaare voller Wirbel fielen ihr ins Gesicht. Bastian hatte
lieber Dunkelhaarige mit langen, seidigen Mähnen. Blond war er selber.
Nur einen Augenblick lang sah sie ihn
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