Der Bauch von Paris - 3
Zeit so einzuteilen, daß er den Vorlesungen an der Universität folgen könnte. Es gelang ihm, und er war vollkommen glücklich. Aber ein leichtes Fieber, das ihn acht Tage zu Hause festhielt, riß ein solches Loch in ihren Geldbeutel und beunruhigte ihn so sehr, daß er nunmehr jeden Gedanken, sein Studium zu beenden, aufgab. Sein Kind wuchs heran. Er wurde Lehrer in einem Pensionat in der Rue de l’Estrapade mit einem Gehalt von achtzehnhundert Francs. Das war ein Vermögen. Wenn er sparsam war, konnte er Geld beiseite legen, um Quenu zu versorgen. Mit achtzehn Jahren behandelte er ihn immer noch wie eine Tochter, die eine Aussteuer erhalten muß.
Während der kurzen Krankheit seines Bruders hatte auch Quenu Betrachtungen angestellt. Eines Morgens erklärte er, er wolle arbeiten, er sei groß genug, sein Brot zu verdienen. Florent war tief gerührt. Ihnen gegenüber hatte auf der anderen Seite der Straße ein Uhrmacher seine Werkstatt, den Quenu während des ganzen Tages in der grellen Helligkeit des Fensters sah, wie er, über seinen kleinen Tisch gebeugt, mit ganz kleinen Gegenständen hantierte und sie geduldig mit der Lupe betrachtete. Das lockte ihn und er behauptete, Lust zum Uhrmacherhandwerk zu haben. Aber nach vierzehn Tagen war es mit seiner Ausdauer zu Ende. Er weinte wie ein Kind von zehn Jahren, weil er das zu kompliziert fand und er sich niemals in »all den dämlichen kleinen Dingen, die in eine Uhr hineingehören«, auskennen würde. Er wollte jetzt lieber Schlosser werden. Aber die Schlosserarbeit strengte ihn zu sehr an. Im Laufe von zwei Jahren versuchte er sich in mehr als zehn Berufen. Florent fand, er habe recht, man solle keinen Beruf ergreifen, der einem zuwider ist. Nur kam die schöne Aufopferungsfreudigkeit Quenus, der sein Brot selber verdienen wollte, dem Haushalt der beiden jungen Männer teuer zu stehen. Seitdem er von einer Werkstatt zur anderen lief, gab es unaufhörlich neue Ausgaben: Geld für Kleidung, für außer Hause eingenommene Mahlzeiten, für den Einstand bei den Kollegen. Florents achtzehnhundert Francs reichten nicht mehr. Er hatte noch zwei Unterrichtsstunden hinzunehmen müssen, die er am Abend gab. Acht Jahre lang trug er denselben Überzieher.
Die beiden Brüder hatten einen Freund gefunden. Eine Front des Hauses ging zur Rue SaintJacques, und dort lag eine große Bratküche, die einem würdigen Mann namens Gavard gehörte, dessen Frau inmitten des fetten Geflügelduftes an Schwindsucht dahinsiechte. Wenn Florent zu spät nach Hause kam, um noch ein Stück Fleisch kochen zu können, kaufte er unten ein Stück Pute oder Gans für zwölf Sous. Das waren dann Festtagsschmausereien. Gavard nahm schließlich Anteil an diesem hageren Burschen; er erfuhr seine Geschichte und zog den Kleinen zu sich heran. Und bald verließ Quenu die Bratküche überhaupt nicht mehr. Sobald sein Bruder fortging, kam er herunter und machte es sich hinten im Laden vor den hohen hellen Flammen bequem, entzückt von den vier riesigen Bratspießen, die sich mit lieblichem Geräusch drehten.
Die großen Kupfergeschirre am Kamin glänzten. Das Geflügel dampfte. Das Fett sang in der flachen Pfanne unter den Bratspießen, die schließlich miteinander zu plaudern und freundliche Worte an Quenu zu richten begannen, der einen langen Löffel in der Hand hielt und hingegeben die goldigen Bäuche der rundlichen Gänse und der großen Puten begoß. Stundenlang blieb er dort, ganz rot von den tanzenden Lichtern des lodernden Feuers, ein wenig benommen, unbestimmt den großen Tieren, die da brieten, zulächelnd, und er erwachte erst, wenn der Braten vom Spieß genommen wurde. Das Geflügel fiel in die Schüsseln. Die Spieße wurden aus den über und über dampfenden Bäuchen gezogen; die Bäuche entleerten sich, ließen aus den Löchern am Steiß und aus der Gurgel den Saft herauslaufen und erfüllten den Laden mit kräftigem Bratenduft. Der Junge stand dabei, verfolgte mit den Augen diesen Vorgang, klatschte in die Hände, sprach zu dem Geflügel und sagte ihm, daß es gut sei, daß es aufgegessen werde und daß die Katzen nur die Knochen bekämen. Und er fuhr zusammen, wenn ihm Gavard eine Scheibe Brot gab, die er eine halbe Stunde lang in der flachen Pfanne unter dem Bratspieß schmoren ließ.
Zweifellos überkam Quenu hier die Liebe zur Küche. Später, als er alle anderen Berufe versucht hatte, kehrte er schicksalhaft zu den Tieren, die vom Bratspieß genommen werden, zurück, zu den
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