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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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aufmuntert und das gebratene Fleisch munden läßt. Er kannte in der Rue Cuvier am Jardin des Plantes15 eine Witwe, deren Mann Postvorsteher in Plassans, dem Sitz einer Unterpräfektur in Südfrankreich, gewesen war. Diese Dame, die sehr bescheiden von ihrer kleinen Pension lebte, hatte aus jener Stadt ein kräftiges und schönes Kind mitgebracht, das sie wie ihre eigene Tochter hielt. Lisa umsorgte sie sanft mit ihrem stets gleichmäßigen, ein wenig ernsten Wesen und war vollendet schön, wenn sie lächelte. Ihre große Anmut lag in der erlesenen Art, mit der sie ihr seltenes Lächeln anbrachte. Dann war ihr Blick eine Liebkosung, und der Ernst, der sie sonst umgab, verlieh diesem plötzlichen Wissen um ihren Zauber einen unschätzbaren Wert. Die alte Dame sagte oft, ein Lächeln Lisas würde sie zur Hölle geleiten. Als ihr Asthma sie dahinraffte, hinterließ sie ihrer Adoptivtochter alle ihre Ersparnisse, etwa zehntausend Francs. Acht Tage blieb Lisa allein in der Wohnung in der Rue Cuvier; und von dort hatte Gradelle sie geholt. Er kannte sie, weil er sie häufig mit ihrer Herrin gesehen hatte, wenn diese ihn in der Rue Pirouette besuchte. Bei der Bestattung jedoch erschien sie ihm so schön geworden und so stattlich, daß er bis zum Kirchhof mitging. Während der Sarg hinuntergelassen wurde, überlegte er, daß sie sich prächtig in seinem Fleischerladen ausnehmen würde. Er ging mit sich zu Rate und sagte sich, daß er ihr neben Unterkunft und Verpflegung gut dreißig Francs monatlich bieten könne. Als er ihr seine Vorschläge unterbreitete, bat sie sich vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit aus. Dann traf sie eines Morgens mit ihrem kleinen Bündel und ihren zehntausend Francs im Mieder bei ihm ein. Einen Monat später gehörte ihr das ganze Haus samt Gradelle und Quenu bis zum letzten Küchenjungen. Besonders Quenu würde sich für sie die Finger abgehackt haben. Wenn sie zu lächeln begann, blieb er stehen und lachte selber vor Entzücken, sie anzuschauen. Lisa, die älteste Tochter der Macquards aus Plassans, hatte noch ihren Vater. Sie sagte, er sei im Ausland, und schrieb niemals an ihn. Manchmal ließ sie sich die Bemerkung entschlüpfen, daß ihre Mutter zu ihren Lebzeiten schwer geschuftet habe und daß sie nach ihr geraten sei. Sie zeigte sich in der Tat außerordentlich geduldig bei der Arbeit. Aber sie fügte auch hinzu, daß die brave Frau eine wunderbare Beharrlichkeit an den Tag gelegt habe, sich umzubringen, damit der Haushalt lief. Sie sprach dann sehr verständig und in einer ehrbaren Art, die Quenu entzückte, über die Pflichten der Frau und des Ehemannes. Er versicherte ihr, daß er durchaus die gleichen Ansichten habe. Lisas Ansicht war, daß ein jeder Mensch für sein Essen arbeiten müsse, daß ein jeder selber seines Glückes Schmied sei, daß man schlecht handle, wenn man die Faulheit unterstütze, und daß das schließlich um so schlimmer für diese Nichtstuer sei, wenn es Unglückliche gebe. Das war nun rundweg eine Verdammung der Trunksucht und des allbekannten Bummellebens des alten Macquart. Und ohne daß sie es wußte, sprach Macquart ganz laut aus ihr; sie war lediglich eine waschechte, verständige, logisch denkende Macquart mit ihrem Verlangen nach Wohlleben, nachdem sie begriffen hatte, daß das beste Mittel, in glücklicher Wärme einzuschlafen, immer noch das ist, sich selber ein Bett von Glückseligkeit zu bereiten. Auf ein solches weiches Lager verwandte sie ihre Zeit und all ihre Gedanken. Schon mit sechs Jahren war sie bereit, den ganzen Tag artig auf ihrem Stühlchen zu sitzen, vorausgesetzt, daß man sie dafür am Abend mit einem Stück Kuchen belohnte.
    Bei dem Fleischer Gradelle führte Lisa ihr ruhiges, gleichmäßiges, von ihrem bezaubernden Lächeln erhelltes Leben weiter. Sie hatte das Anerbieten des guten Mannes nicht auf gut Glück angenommen; sie verstand, in ihm einen Tugendwächter zu finden. Sie ahnte vielleicht mit dem Spürsinn glücklich veranlagter Menschen in diesem dunklen Laden in der Rue Pirouette die gesicherte Zukunft, von der sie träumte, ein Leben gesunden Genießens, eine nicht zu anstrengende Arbeit, für die jede Stunde den Lohn brachte. Sie betreute ihren Ladentisch mit der gleichen ruhigen Sorgfalt, die sie der Postvorsteherswitwe hatte angedeihen lassen. Die Sauberkeit von Lisas Schürzen wurde bald im ganzen Viertel sprichwörtlich. Onkel Gradelle war mit diesem schönen Mädchen so zufrieden, daß er manchmal beim Zubinden der Würste zu

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